Open Social – Chancen und Risiken

Nach den ersten Diskussionen in November und Dezember über die Chancen und Risiken von Open Social für Google, die Betreiber von Social Networks und last but not least für die Nutzer von social networks ist jetzt zu diesem Thema Ruhe eingekehrt. Das Thema selbst ist aber so grundlegend, das es Sinn macht, Inhalte und mögliche Auswirkungen unter verschiedenen Blickwinkeln genauer wie gelassener zu betrachten. Der Artikel von Benedikt Köhler dazu ist besonders empfehlenswert.
Auf den ersten Blick geht es bei Open Social nur um einen Standard für APIs, der es ermöglicht Anwendungen über verschiedene social networks hin zu nutzen. Programmierer können damit Anwendungen entwickeln die in mehreren Networks eingebunden werden können. Dimension2K nennt dazu explizit den Zugriff über die API auf Profil-Informationen, Informationen über Kontakte und Aktivitäten.

Um zu verstehen was dies insgesamt bedeuten kann, macht es Sinn sich den Kontext dieser Initiative von Google genauer anzusehen. Google lebt primär von Werbung. Das Erfolgsmodell von Google beruht auf der kontextsensitiven Einblendung von Werbung passend zum content auf der diese Werbung eingebunden ist. Hier liegt die Achillesferse von Google, die durch das dynamische Wachstum der Social Networks deutlich wurde.

Qualitativ gesehen ist diese Methode nur eine Zwischenlösung, weil sich die Werbung inhaltlich am Content der Website orientiert und nicht an den Interessen des Besuchers dieser Website. Ein Werbetreibender richtet seine Botschaft aber an den Besucher einer Website und nicht an die Website. Die Einblendung von Werbung entsprechend den Interessen des Besuchers ist die bessere Alternative zu Googles kontextsensitiver Werbung.

Für die qualitativ hochwertigere Methode ist es erforderlich die Interessen der Websitebesucher zu kennen. In Social Networks ist dies der Fall. Werbung in Social Networks kann damit systembedingt effizienter sein, als Googles kontextsensitive Werbung. Für Google ist es entsprechend wichtig, sich diese Methode zu erschließen. Nachdem die Erfahrungen mit Orkut nicht für den Weg über ein eigenes globales Social Network sprechen und die Alternative der Identifizierung der Internetnutzer und der Verknüpfung von Verhaltensinformationen einen extremen Aufwand erfordern würden, stellt sich Open Social als sehr geschickter strategischer Schachzug zur indirekten Erschließung der Social Neworks dar. Das Heer externer Programmierer erstellt Anwendungen für Open Social, erschließt dabei die Informationen der Social Networks und Google partizipiert über die Vermarktung der Werbeflächen in den Anwendungen an dieser qualitativ hochwertigeren Methode der Werbeeinblendung.

Wird aus Open Social damit eine win-win-Situation für alle Beteiligten?

  • Google stellt sich damit deutlich besser. Es hat einen strategischen Zugang zur effizienteren Methode der Werbung und kann damit nicht über die Social Networks in eine nachteilige Wettbewerbssituation kommen.
  • die Programmierer erschliessen sich ein deutlich größeres Ertragspotenzial für ihre Anwendungen und erhalten über die Partnerschaft mit Google einen leistungsfähigen Vermarktungspartner, der es ihnen erlaubt sich ganz auf die Kernkompetenz – Entwicklung attraktiver Anwendungen – zu konzentrieren.
  • die Betreiber der Social Networks, die immer noch überwiegend von Werbung leben oder leben werden, sehen über die eingebundenen Anwendungen auch externe Werbung in ihren Seiten, auf die sie keinen Einfluss haben und von denen sie nicht profitieren. Sie verlieren einen Teil ihrer wirtschaftlichen Grundlage. Zugleich eröffnen sie über Open Social Externen einen direkten Zugriff auf die Daten ihrer Mitglieder. Dem stehen nicht nur die Versicherungen der Betreiber gegenüber ihren Mitgliedern entgegen, sondern auch massive Eigeninteressen.
  • die Mitglieder von Social Networks erhalten über Open Social die Möglichkeit eine Vielzahl von Anwendungen nutzen zu können, ohne sich gleich bei einer Vielzahl von Anbietern dafür anmelden zu müssen und können auf diesem Weg auch mit Mitgliedern anderer Networks kommunizieren. Wie weit sich diese Offenheit auf die Mitgliederbindung zu den Social Networks auswirkt, wird eine sehr interessante Erfahrung werden. Letztlich muss man damit eben nicht mehr Mitglied in einem Social Network werden, um mit den Freunden dort zu kommunizieren. Ãœber Anwendungen kann die Notwendigkeit des Networks als Platz der Information und Kommunikation ausgehebelt werden. Letztlich würde es ausreichen, sich beim Betreiber einer zentralen Kommunikations- und Informationsanwendung anzumelden.

Während also Google und die Programmiererseite großes Interesse an der Durchsetzung von Open Social haben dürften, sieht die Situation bei den Betreibern der Social Networks nicht ganz so positiv aus. Ãœber die Schnittstelle Open Social öffnen sie nicht nur die eigenen Networks, sie geben auch Ertragspotenziale aus der Hand und erlauben, wirtschaftlich wie funktional „ausgebeint“ zu werden.

Wie sehen die Handlungsalternativen von Betreibern aus?

  1. Schotten dicht und darauf vertrauen, das diesem Thema kein langes Leben vergönnt ist? Dies Option beinhaltet das Risiko der Abwanderung von Mitgliedern, wenn attraktive Anwendungen nicht selbst angeboten werden können.
  2. Selektion und Definition der funktionalen wie wirtschaftlichen Rahmenbedingungen: Die Einbindung von Anwendungen über Open Social an inhaltliche wie vermarktungstechnische Voraussetzungen zu binden und hier die Zusammenarbeit selektiv und entsprechend der eigenen Interessen zu gestalten, erscheint mit den geringsten Risiken verbunden zu sein.
  3. Kooperation auf der Ebene der Social Networks um den Standard so weiter zu entwickeln, das er auch den Interessen der Betreiber der Social Networks Rechnung trägt.

Solange die Betreiber noch den Zugang zu dem entscheidenden Wert – den Informationen über ihre Mitglieder – allein in den Händen haben, solange sind sie noch sehr handlungsfähig und nicht unter großem Zugzwang. Und solange Open Social nicht den Interessen der Betreiber der Social Networks ausreichend Rechnung trägt, kann dieser Schachzug von Google immer noch scheitern. Hauptleidtragender in diesem Fall wäre natürlich Google. Aus dessen Perspektive wäre eine Ablehnung von Open Social durch die wichtigsten Social Networks unerfreulicher als eine Anpassung des Standards.