Social Media und Politik – das Beispiel Stuttgart 21

Stuttgart 21 – Anschauungsbeispiel für Social Media in der Politik

Twitter glüht, Menschen aus den unterschiedlichsten Schichten der Bevölkerung demonstrieren zum ersten Mal in ihrem Leben und die etablierten Nachrichtensendungen behandeln das Thema Stuttgart 21 als Top Thema.

Bei Stuttgart21 geht es um ein Bahnhofsprojekt. Es geht aber auch darum wie in einem konkreten Fall Politik so gemacht wurde, das der Wähler außen vor gehalten wurde.

In diesem Beitrag geht es nur darum wie Social Media die Politik verändern kann. Stuttgart21 dient hier als Anschauungsbeispiel. Weder werden Argumente ausgetauscht, noch deren Qualität diskutiert.

Hier geht es vor allem darum, aufzuzeigen,

  • wie mit Social Media Politik gemacht werden kann,
  • wie dies am konkreten Beispiel Stuttgart 21 bereits stattfindet,
  • welche Potenziale von Social Media beim Beispiel Stuttgart 21 ungenutzt sind und
  • wie die Möglichkeiten von Social Media anhand dieses Beispiels besser genutzt werden können

um die Wirkung zu erzielen, die sich mit Social Media auch in der Politik erzielen lässt.

Was kann Social Media in der Politik bewirken?

Wie Social Media in der Politik wirken kann

Vorab – Social Media ist nicht dadurch erfolgreich, das damit Statements verbreitet werden, sondern dadurch, das sich Menschen miteinander mit Inhalten befassen. Es zählt nicht was der „Politiker“ sagt, sondern worüber sich die Menschen unterhalten. Der „Politiker“ kann Inhalte anregen, Argumente vorbringen und Gespräche initiieren und selbst daran teilnehmen.

Social Media kann Menschen bewegen, Meinungen verändern und Aktivitäten hervorrufen, weil es Menschen die Instrumente in die Hand gibt um selbst etwas zu bewegen.

Die funktionale Seite der Wirkung von Social Media in der Politik

Information: Social Media hat eine eigene Reichweite, innerhalb einer eigenen Infrastruktur. Das bedeuted nicht, das Social Media nicht auch beeinflussbar ist. Die Reichweite bestimmt  mit über denWirkungsgrad der Information. Da Social Media existent ist und weite Bevölkerungskreise Social Media in mehr als einer Weise nutzen, hat dies eine Auswirkung auf den Informationsgrad.

Ein zusätzlicher Informationskanal, der näher als andere Teil des privaten sozialen Leben sein kann, erhöht die Informationsmöglichkeit

  • passiv im Sinn eines informiert werden durch das soziale Umfeld
  • aktiv durch die Information anderer im eigenen sozialen Umfeld.

Die technischen Automatismen in Social Media sind hier der Schlüssel, der Reichweiten für Informationen schaffen kann.

Motivation: Nichts motiviert besser als Motivation. Informationen und Anstöße aus dem eigenen sozialen Umfeld haben eine eigene Motivationsqualität. Beispiele aus dem eigenen sozialen Umfeld sind beeindruckender als aus einem ferneren Umfeld. Verhaltensänderungen oder Aktivitäten von Bekannten und befreundeten Menschen erreichen uns direkter. Die Diskussion im eigenen Umfeld kann nicht nur Themen und Informationen transportieren, sie arbeitet auch an Einstellungen und Entscheidungen mit, motiviert dazu, sich mit Themen und Inhalten zu befassen um an der Diskussion fundiert teilnehmen zu können.

Aktivierung: Von der Motivation sich mit einem Thema zu befassen, bis zur Aktivierung ist der Schritt kurz. Die Teilnahme an der Diskussion ist bereits ein erster Schritt der Aktivierung. Die Aktivierung kann

  • über die Sympathisantenebene
  • zur passiven Unterstützung oder zur
  • aktiven Beteiligung, z. B. als Volunteer / Freiwilliger führen. Vorbilder und Beispiele im direkten Umfeld erleichtern diesen Schritt, bzw. können als Anstoss für die eigene Aktivierung dienen. Aktivierung zeigt sich insbesondere in
  • der aktiven Weiterleitung von Informationen im eigenen Umfeld
  • in der aktiven Mitarbeit (Volunteer / Freiwilliger) in einer Organisation
  • in der finanziellen Unterstützung.

 

Success Case als Messlatte – Obamas Weg ins Weiße Haus

Auch wenn die Kandidatur von Barrack Obama bereits ein vielzitiertes Beispiel für den Einsatz von Social Media in der Politik ist, lohnt es sich die 3 wichtigen Erfolgsfaktoren seiner Kampagne in Erinnerung zu rufen.

Reichweite: Damit Social Media Wirkung entfalten kann, muss eine ausreichende Reichweite aufgebaut werden, also genügend Menschen erreicht werden, um eine angestrebte Wirkung zu erzielen. Dieser „Infrastrukturcharakter“ von Social Media wird leicht unterschätzt, insbesondere was den Aufwand und die Zeit betrifft, die für diesen Aufbau erforderlich ist. Die Nutzung bestehender Plattformen kann diesen Aufbauprozess nur beschleunigen, nicht aber ersetzen.

Obama hat sowohl eigene Plattformen und externe Social Network – und Social Media Plattformen genutzt. Gerade die Kombination hat strategische Bedeutung. Sie sichert einerseits durch die eigenen Plattformen maximale inhaltliche Gestaltbarkeit und das kommunikative Rückgrat der Organisation ab, andererseits nutzt sie die Reichweite und Wirkung vorhandener externer Plattformen für deren Verbreitung.

Vernetzung: Gemeinschaft macht stark. Aus dem Einzelnen ein Team mit einem klaren Ziel und den dafür nötigen Instrumenten zu machen, ist eine der Kernaufgaben der Vernetzung bei der politischen Nutzung von Social Media. Natürlich wird nicht jeder, der sich in Social Media mit einem politischen relevanten Thema befasst, automatisch zum Aktivisten, aber allein die Erkenntnis, mit einer Meinung nicht mehr allein zu stehen, bewirkt eine erste Veränderung. Die Bestätigung anderer festigt die eigene Meinung. Die Möglichkeit sich sinnvoll zu engagieren, eröffnet der Meinung eine Handlungsmöglichkeit. Die Einladung dazu – durch andere Mitstreiter – motiviert sich zu engagieren und sei es nur um der damit verbundenen sozialen Anerkennung wegen. Teil einer aktiven Gruppe zu sein, motiviert.

Volunteering: Eine weitere Grundlage des Erfolgs von Obama war die Aktivierung einer großen Anzahl an freiwilligen Helfern. Selbst in Texas, dem Kernland seines Wettbewerbers George W. Bush konnte Obama mehr Volunteers für sich gewinnen als sein Kontrahent. Obamas Team war auch darin erfolgreicher diese Freiwilligen innovativ zu organisieren und zielführend einzusetzen.

Fundraising: Ohne die spektakulären Ergebnisse des Fundraising wäre Obamas Kandidatur vermutlich nicht so erfolgreich gewesen. In der heißen Phase des Wahlkampfs konnte Obama über mehr als 150 Mio US-$ verfügen. Sein Wettbewerber hatte diesem Werbebudget nichts nennenswertes mehr entgegen zu setzen.

Obamas Fundraising basierte auf vielen Kleinspenden, die via Internet und Volunteers eingeworben wurden. Freiwillige sind hier sowohl Quelle als auch Werber für Spenden.

Community Management: Die Kunst eine sehr große Zahl von Volunteers zielgerichtet einzusetzen und „Querschläger“ und „Eigentore“ zu vermeiden, kann nicht hoch genug geschätzt werden. Der Ansatz von Obama – „bottum up“ und „trust & enabling“ begleitet von einem erfolgreichen Community Management hat dazu geführt, das seine größere Anzahl von Freiwilligen Unterstützern zugleich effizienter eingesetzt wurden.

Strukturelle Veränderung in der Medienlandschaft

Twitter ist schneller als die klassischen Medien, wird aber von diesen zunehmend beachtet. Blogs, Videos auf Youtube und anderen Asset-Plattformen, Social Networks und ihre Multiplikationsfunktion ergänzen die Reichweite und Dynamik. Die Inhalte und Schwerpunkte der traditionellen Medien stehen jetzt im Kontext wie im Wettbewerb einer weiteren Medienlandschaft. Inhalte und Geschehnisse die in der einen Ebene – schneller – kommuniziert werden, können nur noch begrenzt „ignoriert“ werden. Das betrifft sowohl Ereignisse an sich als auch bestimmte Aspekte davon. „bin gespannt, ob die Tagesschau endlich darüber berichtet“, „die Medien schlafen wieder mal“, sind nur einige sinngemäße Beispiele für Äußerungen, die auch in direkter Richtung auf die Medien dafür sorgen sollen, das Ereignisse wahrgenommen werden. Da Äußerungen in Social Media durch entsprechende Tools gemessen werden kann und von den größeren Medien sicher auch wird, kommen solche Aufforderungen an und erzielen Wirkung, wenn sie in größerem Umfang auftreten.

Die Dynamik von Social Media setzt die klassische Medienlandschaft unter Druck auf Ereignisse zu reagieren. Politische Einflussnahme auf öffentlich-rechtliche Medien dürfte damit zunehmend ins Leere laufen, deren Berichterstattung durch die Wettbewerbssituation deutlich kritischer werden.

Inhaltliche Korrekturfunktion

Social Media verändert nicht nur das Verhalten der klassischen Medien. Social Media hat auch eine Korrekturfunktion für die Inhalte. Durch Content wie

  • Videos von Ereignissen,
  • Augenzeugenberichten,
  • Reaktionen
  • Gegendarstellungen
  • Informationen im Netz

kann Informationen, die über die traditionellen Medien verbreitet werden, sofort eine Gegeninformation gegenüber gestellt werden. Methoden der Desinformation und der Diffamierung werden zum Bummerang und fallen auf deren Anwender zurück. Ähnlich sieht es mit Halbwahrheiten und bewusst eingesetzten Verbreitung von Unwahrheiten aus.

 

Social Media und Stuttgart 21

Stuttgart 21 zeigt, auf welchem Stand die Nutzung von Social Media in der Politik in Deutschland angekommen ist: Beide Seiten nutzen zwar Plattformen und Tools von Social Media, aber in beiden Fällen ist diese Nutzung eher unkoordiniert, uninspiriert und von einem geringen Verständnis der Funktionsweise und der Möglichkeiten von Social Media für die eigene Sache geprägt.

Social Media am Beispiel Stuttgart 21

Betrachten wir die Social Media Aktivitäten rund um Stuttgart 21 aus dem Blickwinkel des Obama Cases und der Kriterien

  • Reichweite
  • Vernetzung
  • Volunteering
  • Fundraising
  • Community Management

erkennen wir, welches ungenutzte Potenzial Social Media an diesem Beispiel bietet.

Die Nutzung von Facebook (exemplarisch genannt für Social Networks an sich), Twitter, die Nutzung von Videolivestreams, Videos und Bildern auf Assetplattformen wie Videoplattformen (youtube) Blogs und Twitpic-Plattformen sowie Wikis, kennzeichnet den aktuellen Stand von Social Media.

Damit

  • beschränkt sich die  Nutzung von Social Media auf eines der genannten 5 Erfolgskriterien und bewegt sich auf der Ebene der „spontanen Nutzung vorhandener Instrumente“ (relativ planloser Aktivismus relativ weniger).
  • wird auf die Wirkung von Social Media für eine nachhaltige und strukturelle Veränderung verzichtet.

 

Ziele und zielführendes Verhalten

Bei Stuttgart 21 geht es – neben der Frage ob Kopfbahnhof oder tiefer gelegter Durchgangsbahnhof zukunftsfähiger sind – vor allem um die Frage wie P0litik gemacht, der Bürger eingebunden werden soll. Zumindest letzteres beinhaltet den Wunsch nach struktureller Veränderung.

Aktuell findet ein Protest durch Demonstrationen auf der Strasse statt. Damit lässt sich möglicherweise ein Projekt wie Stuttgart 21 verhindern. Der Wunsch nach einer neuen politischen Kultur ist ein qualitativ anderes Ziel, weil hier etwas neues geschaffen werden soll.

Die Erfolgsaussichten für die Verhinderung von Stuttgart 21 basieren derzeit auf einem anhaltenden Protest durch Demonstrationen, einer Grundstimmung in der Bevölkerung Baden-Württembergs gegen das Projekt und die Unterstützung durch die Medien. Zwei von drei Erfolgsfaktoren haben die Gegner damit nicht in der Hand. Die Infrastruktur, diese Faktoren nachhaltig zu beeinflussen fehlt ihnen. Die Form des Protests birgt zudem beachtliche Risiken (z. B. Eskalation, Ermüdung) in sich.

Ein zielführenderes Verhalten könnte darin bestehen, die positive Situation für den Aufbau von Social Media Strukturen zu nutzen, die es erlauben, die eigenen Ziele mit größerer Sicherheit anzusteuern und die Aktivität der Unterstützer auch bei einer Aussetzung der Demonstrationen aufrecht zu erhalten.

Social Media Case Stuttgart 21

Wie könnte ein Social Media Konzept für Stuttgart 21 aussehen? Welche Inhalte und Strukturen sollten geschaffen werden?

Die Antwort darauf ergibt sich aus den Erkenntnissen des Obama Cases und ist hier – beispielhaft für das Lager der Stuttgart 21 Gegner – kurz skizziert zusammengefasst.

Reichweite: Der koordinierte Aufbau einer Reichweite in Social Network Plattformen muss Teil aller Aktivitäten werden. Reichweite sollte zusammengefasst und nicht zersplittert werden, um die nötige Aussen- und Innenwirkung zu generieren. Die dazu gehörende Plattformstrategie muss die Kommunikation inhaltlich wie organisatorisch sicher stellen und technisch absichern.

Vernetzung: Die Vernetzung der Gegner sichert die Aktivität und die Beständigkeit des Widerstands und dessen Qualität (Gewaltslosigkeit, zielführendes Verhalten). Die eigenen Social Network Strategien – insbesondere Plattformstrategie und Community Management – sind hier gefordert, die Vernetzung aktiv voran zu bringen.

Volunteering: Ohne Organisation wird auf Dauer Qualität, Sicherheit, Aktivität aufrecht zu erhalten sein. Das Beispiel Obama hat gezeigt, das hier die Lösung im Mix zentraler und dezentraler Steuerung und im enabling der Volunteers liegt.

Fundraising: Ohne wirtschaftliche Mittel ist ein Widerstand auf längere Zeit nicht realisierbar, vor allem aber ist es ohne ein Mindestmaß an finanziellen Ressourcen weniger erfolgreich diesen Widerstand über die Stadtgrenzen hinaus auf breiter Basis im Land zu etablieren und auf die Landtagswahlen im März erfolgreich Einfluss nehmen zu können.

Community Management: Organisation, enabling und Einsatz von Volunteers, aktivieren der Sympathisanten, entwickeln intelligenter Formen des Widerstands, Motivation der eigenen Anhänger – die Aufgaben des Community Managements sind nicht nur beachtlich sondern auch erfolgsentscheidend.

Fazit

Social Media steht in der politischen Auseinandersetzung in Deutschland noch immer am Anfang. Die Möglichkeiten die sich dadurch bieten, werden von den etablierten Parteien nicht genutzt.

Social Media bietet – richtig genutzt und in Verbindung mit einem mehrheitsfähigen politischen Anliegen – die Möglichkeit, Strukturen zu schaffen, die die politische Landschaft und Kultur nachhaltig verändern bzw. gestalten können.