Merkels Internetgipfel und die deutsche Schieflage in der new economy

Das Handelsblatt berichtet über die Initiative der Bundeskanzlerin um gegen eine Schieflage Deutschlands in der new economy durch bessere Rahmenbedingungen für Unternehmensgründungen anzugehen. Montag, den 4. Juni will die Kanzlerin die IT Elite Deutschlands zum Krisengipfel um sich versammeln und Lösungen suchen.

An Krisengipfeln mangelt es nun wirklich nicht. Wohl eher an vorausschauender Politik und vor allem auch an der Bereitschaft vorausschauend zu handeln.

Ist Deutschland Entwicklungsland in der New Economy?

Woran liegt es, das Deutschland bei dieser Zukunftsbranche der Entwicklung hinter her sieht? Fehlen uns die schlauen Köpfe, fehlt es an Geld, oder schlichtweg an Ideen?

Natürlich gibt es kein deutsches Facebook von internationaler Bedeutung, nicht einmal eines von nationaler Bedeutung, kein Amazon, kein Google, Youtube und schon gar kein Apple. In Sachen New Economy laufen wir eben nicht in der Spitze mit sondern im mittleren bis hinteren Teil des Hauptfelds. Um die Zukunft der digitalen Wirtschaft in Deutschland muss es deshalb nicht schlecht stehen. Sie wird nur nicht in schwarz-rot-gold gefärbt sondern unter stars and stripes stattfinden.

Netzwerkeffekte fördern monopolistische Strukturen

Vergleichen wir einfach die Situation bei den Social Network Plattformen. Dort sind wir nicht später gestartet als andere. Im Gegenteil. Deutschland hatte hier schon sehr früh wettbewerbsfähige Angebote auf dem Markt. Allerdings fokussiert auf den deutschen Markt. Der Sprung in die englischsprachige Welt war für die meisten kleinen Unternehmen entweder auf wirtschaftlich-organisatorischen Gründen oder aus mangelndem Selbstvertrauen kein Thema.

Facebook war zu seinem frühen Beginn nicht wirklich besser als die deutschen Anbieter, aber es konnte sich auf einem großen Markt (definiert durch die englische Sprache) frei entfalten und wachsen, bevor es sich dem internationalen Wettbewerb stellte. Da bei Social Network Plattformen der Netzwerkeffekt durchschlägt, startete der Newcomer in Deutschland – und in allen anderen Ländern, in denen er antrat – auf einem höheren Level, das ihm deutlich mehr Aufmerksamkeit einbrachte, als vergleichbaren nationalen Anbietern.

Dynamische Märkte brauchen dynamische Kunden um sich zu entwickeln

Die zweite Achillesferse der new economy in Deutschland sind die eigenen Märkte. Die reagieren relativ träger und langsamer auf die schnellen Veränderungen. Damit fehlen in Deutschland die Kunden für innovative Leistungen und für neue Ideen. Man könnte es auch zugespitzt so formulieren: Mit einer guten Startup-Idee startest Du besser in den USA als in Deutschland. Und dies nicht wegen bürokratischer Hindernisse, wohlgemerkt.

Politik als Entwicklungsbeschleuniger?

So richtig das Problem erkannt wurde, so spät wurde es auch erkannt. Jetzt noch schnell ein weiteres Gipfelchen mit schönem Bild von Kanzlerin in deutschen IT Größen – das klingt schnell nach Aktionismus. Noch eine Chefsache, die ja nichts anderes demonstriert, als das Eingeständnis die Realität verpasst zu haben und nicht über das ministerielle Personal für eine wichtige Aufgabe zu verfügen.

Netzpolitik ist – von vereinzelnd twistenden Parteigranden abgesehen – doch eher in Form der Piraten in die Politik eingezogen und hat damit die etablierten Parteien erst mal aufgeschreckt. Folgte nach dem Beispiel Obama ein Aufbruch der Parteien ins Netz? Bestenfalls hat sich die Tonlage der Schlafgeräusche etwas verändert.

Kann man von einem Internetgipfel der Kanzlerin einen digitalen Ruck durch die deutsche Wirtschaft erwarten? Es geht ja letztlich nicht nur um Neugründungen und die damit verbundene Hoffnung auf einen internationalen deutschen Erfolg in der New Economy. Es geht auch um die Unternehmen, die durch ihr Defizite in der Nutzung neuer Technologien – und darum handelt es sich auch und nicht zuletzt bei Social Media – ins Hintertreffen geraten können.

Industriepolitik – wenn nicht von Merkel, von wem dann?

Man könnte darauf hoffen, das die Kanzlerin erfolgreich Impulse setzt. Wenn nicht von ihr, von wem dann? Vom neuen aktuellen Wirtschaftsminister Philipp Rösler? Dessen kleinerer Internetgipfel war schon vor einigen Monaten. Für aktive Industriepolitik ist zwischen FDP Existenzängsten mit Machtspielen, Energiewendenschleuderkursen und Subventionsabbaudemonstrationen a la Hotellobby, parteiinfantilem Koalitionsgezeter und blindem Glauben, das es der Markt schon richten wird, eher wenig Zeit übrig geblieben.

Und Merkel – nach Finanzkrise, Euro(pa)krise, Bankenkrise, Energiewende und diversen Koalitionskrisen und den entsprechenden Gipfeln macht jetzt auch noch die deutsche New Economy Krise zur Chefsache. Richtig erkannt, heisst noch nicht richtig gemacht. Und in dem Fall ist zu spät erkannt das halbe Scheitern.

Merkel sucht das deutsche Facebook

So titelt die Gründerszene zu dieser Veranstaltung und trifft damit möglicherweise des Pudels Kern. Die Frage nach der globalen Marktführung bei den Social Network Plattformen ist vorerst entschieden. Damit steht fest, wessen Infrastruktur nicht nur Maß aller Dinge in dieser Welt ist, sondern auch welche Infrastruktur der Rest der Welt – China ausgenommen – nutzen muss. Sollte diese Infrastrukturfrage erneut neu entschieden werden,  wie im Beispiel MySpace-Facebook, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, das das Ergebnis aus bereits beschriebenen Gründen wieder aus den USA kommt. Die Suche nach dem deutschen Facebook könnte deshalb den Blick auf die nächste entscheidende Frage versperren: wie sichern wir uns die wirtschaftliche Nutzung der vorhandenen Infrastrukturen a la Facebook, ohne und dabei abhängig zu machen.

Was ist von dieser Initiative erst einmal zu erwarten?

Schlagzeilen – die in Richtung Wirtschaft positiv wirken können. Macher, die an einem Tisch zusammen geführt werden. Ein offener Austausch von Ideen und Erkenntnissen. Und vielleicht auch eine kleine Inflation an Internetgipfelchen aller Parteien und Gremien und tangierter Ministerien, immer getragen in der Hoffnung modern und aktiv zu wirken bzw. sich nicht aus dem Thema heraufdrängen zu lassen.

Stellt sich die Frage nach der Dynamik. Wir haben den ersten Teil des Spiels verschlafen. Jetzt kommt ein Gipfel, dann vermutlich eine Arbeitsgruppe oder ein Ausschuss und irgendwann dann auch ein Papier zum Thema Zukunft Deutschlands und New Economy.

Meine grösste Sorge liegt in den unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Notwendigkeiten werden erkannt, wenn Probleme erkennbar sind. Gehandelt wird, wenn die Not groß genug ist. Die Veränderungsdynamik in der Politik hält derzeit sicher nicht mit der Veränderungsdynamik im Netz Schritt. Und wer deutlich später startet, sollte schneller sein um mit zur Realität aufzuschließen.

Von politisch bedrucktem Altpapier würde ich für die  digitale Wirtschaft keine allzu dynamische Beschleunigung erwarten.  Trotzdem würde ich nur zu gern erleben, das ich mich mit dieser Einschätzung völlig getäuscht habe.

 

Veröffentlicht von

Wilfried Schock

ist seit 1980 im Marketing unterwegs und hat seit 2006 seinen Schwerpunkt in Social Media. Heute bildet er Social Media Manager aus, entwickelt Methoden rund um das Thema Social Media Strategie und digitale Geschäftsmodelle und berät Unternehmen in diesen Feldern.