Communitys nach dem Hype – was zählt, wer bleibt?

Die Party ist vorüber

Die Internetnutzung hat die Bevölkerung weitgehend erreicht und erschlossen, die meisten Communityinteressierten haben zumindest in den Altersgruppen u40 ihre Profile bei den sozialen Netzen angelegt. Die Zeit des Booms, sprich des dynamischen Wachstums aufgrund vorhandenen Potenzials, das nach Nutzungsmöglichkeiten sucht, ist vorüber. Wachstum wird heute nur noch durch Qualität, Ideen und Verdrängung erzielt.

Ein Blick auf die Entwicklung der daily unque visitors der bundesweit wichtigen Großen, der großen Regionalen und der großen unter den kleinen Regionalen zeigt dies deutlich.

Warum eine Betrachtung nach Daily Unique Visitors und nicht nach Profilen oder unique users nach agof?

Profile sind nicht aussagekräftig, was die tatsächliche Nutzung und damit Bedeutung eines Social Networks angeht. Unique users nach agof sind eine Währung für Websites allgemein, die für Communitys / Social Networks nicht wirklich passend ist: wer einmal in einem Monat auf einer Communityplattform vorbeisieht, ist kein aktives Mitglied.

Die großen 4 jenseits der VZs verzeichnen in der aktuellen Nutzung mit Ausnahme von Facebook eine stagnierende oder rückläufige Entwicklung. Was Facebook betrifft, ist dessen Entwicklung als „Spätankömmling“ zeitversetzt zu den anderen Netzwerken zu sehen. Betrachtet man die Entwicklung von Facebook und MySpace in Europa und den USA, zeigt sich deutlicher, das auch Facebook in seiner aktuellen Form auf dem Zenith seiner Möglichkeiten angekommen ist.

Die Großen 4 neben den VZs

Ein Blick auf die Entwicklung der VZs zeigt ein ähnliches Bild. Hier glänzt nur der Spätstarter meinvz.net durch Stagnation in der Nutzung, die beiden anderen Netzwerke zeigen sehr deutliche Rückgänge in der Nutzung, die sich gegenüber den besten Zeiten mehr als halbiert hat.

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Bei den großen Regionalen Netzwerken große-regionaleist der Einbruch bei den aktiven Mitgliedern nicht ganz so dramatisch wie bei den frühen VZs, aber bei allen 3 großen Regionalen deutlich zu sehen.

Die „Großen unter den Kleinen“  regionalen Communitys – das sind die Netze die sich auf kleine Bundesländer oder wenige Landkreise begrenzt sehen – zeigen ebenfalls eine klare Reduzierung der aktiven Mitglieder in der Zeitachse, die allerdings recht unterschiedlich ausfällt.

kleinere-regionale

Fazit: wir haben es mit einem Rückgang der Aktivität bei den sozialen Netzwerken – gemessen an den Daily Unique Visitors nach Google – quer durch die Strukturen zu tun, egal ob Netzwerkgigant, ob rudimentäres Angebot oder local heroe. Der Hype ist vorüber, die Party ist vorbei, die Stunde der Wahrheit rückt näher.

Was bedeutet das für die Branche,  was für die einzelnen social networks?

Wer erinnert sich noch an Cycosmos, wer an uboot.com? (Für die jüngeren – das waren ehemals die Flaggschiffe der Branche in Deutschland, vor MySpace, wkw und VZs.) Cycosmos verstarb auf der Höhe seines Erfolgs, als Opfer seines Erfolgs im Markt, der leider nicht in betriebswirtschaftlichen Erfolg umgemünzt werden konnte. UBoot ist uns erhalten geblieben, zählt nach eigenen Aussagen immer noch 6 Millionen Profile und nach Google Trends global weniger als 10 Tausend daily unique visitors, stellt also bestenfalls ein verbliebenes Fragment alter Größe dar.

„Der König ist tot – es lebe der König!“ trifft auch in der Branche der Social Networks zu. Social Networking wird fraglos Bestand haben, fraglich ist nur in welchem Umfang und wer zu den Ãœberlebenden und wer zu den Gewinnern zählt.

Es  bleibt was wirklich nützlich ist.

Nützlich waren sicher auch diejenigen Netzwerke, die nicht mehr unter uns sind oder den Sinkflug nach unten dynamischer gestalten – für anfangs viele und kurze Zeit. Nachhaltige Nützlichkeit scheint aber eben aus mehr zu bestehen als aus Mail, Messenger, Profilen, Bildern und verlinkten Freunden. Auch das haben die absterbenden, verstorbenen oder abstürzenden Networks zu bieten – wenn auch in unterschiedlichem Umfang und unterschiedlicher Qualität. Das manche Netzwerke trotz bestenfalls lausiger Usability noch existieren, kann man getrost einem Gewöhnungseffekt zuschreiben. Das allein ist allerdings kein zukunftsfähiges Geschäftsmodell.

Nachhaltige Nutzenstiftung für die Pflege sozialer Kontakte, hervorragende Usability, ein funktionierendes und ertragstarkes Geschäftsmodell sind die simplen Messlatten, an denen Zukunftsfähigkeit gemessen werden kann. Und da sieht es bei keinem der Großen und größeren wirklich gut aus und auch die Kleinen profitieren nur durch besondere lokale Stärke von einer besseren Vermarktungssituation.

Nutzenstiftung plus Usability: Wer in Facebook versucht, einen Menschen mit der Suche zu finden, der weder einen ausgefallenen Namen noch ein Profilbild hat und dessen eMail-Adresse nicht bekannt ist, wird Usability nicht zu den Stärken des Netzwerkgiganten rechnen. Die Suche nach Menschen mit gleichen Interessen, mit ähnlichen Hobbys und vergleichbarem Musikgeschmack, sind weitere Beispiele – und dies nicht nur für Facebook.

Die überzeugendste Stärke vieler Communitys ist ihre Größe, gemessen an Profilen oder unique users bezogen auf geografische Räume. Das allein reicht – wie Beispiele belegen – nicht als Ãœberlebensgarantie.

Schwächelndes Geschäftsmodell: Kern der Geschäftsmodelle ist bei den allermeisten  sozialen Netzen die Werbung, ein Geschäftsmodell, das vor allem dadurch auffällt, das Werbung im Internet nirgends so schlecht honoriert wird wie in sozialen Netzen. Der Versuch der VZs mit schwarzen Zahlen ein rettendes Ufer zu erreichen, wirkt zunehmend verzweifelt. MySpace baut Personal ab um die Kosten zu reduzieren, weil mit Google der wichtigste Kunde wegfallen wird und dann rote Zahlen drohen, wkw betet noch das alte Mantra der Blase 2.0 – wir müssen zuerst Reichweite generieren, das Geld verdienen kommt dann schon irgendwie. Stayfriends, KWICK! und Jappy verdienen Geld. Jappy glänzt hier durch ein ultimativ schlankes Unternehmen, das auf einer minimalen Kostenbasis versucht mit minimalen Erträgen überleben zu können. Die Lokalisten ringen mit ihren wirtschaftlichen Problemen und denen ihres Investors.

Vogel Strauß Strategie: Allen gemeinsam ist, das sie das Kernübel auf individuelle Weise zu umgehen versuchen, statt es marktkonform zu lösen. Werbung in sozialen Netzen funktioniert nur sehr marginal, weil dieses Marketinginstrument nicht communityaffin ist. Werbung in sozialen Netzen funktioniert ist wie ein Ferrari der mit den Holzreifen eines Heuwagens bestückt ist. Der Sound stimmt, die Fahrleistung nicht ganz. Das soziale Netze als Marketingtool deutlich weiter gehende Leistungen und Instrumente ermöglichen, ist mehr oder weniger bekannt. Ihrer Nutzung stehen die Communitys selbst durch Ignoranz, Selbstzentriertheit und inkompatible Insellösungen im Weg. So läuft der Trend logischerweise in Richtung Verschlankung, vergisst dabei aber, das jede Investition auch unter dem Thema Opportunität gesehen werden muss und simples downsizing ohne den Aufbau von neuen Ertragsquellen ein auszurechnendes finales Ende hat.  Irgendwann wäre der verbliebene realistische Restwert einer Community als Tagesgeld angelegt wirtschaftlich ertragreicher als ihr weiterer Betrieb. Zumindest das Potenzial an Entwicklungskapazität, das in vielen sozialen Netzen gebunden ist, könnte anderweitig sicher nicht weniger Wertschöpfung generieren. Im Falle von Cycosmos hat diese Ãœberlegung – trotz des Markterfolges – zu einer Einstellung des Projekts geführt.

Technische Plattform oder Community?

Diese Entscheidung wird für viele soziale Netze eine richtungsweisende Zukunftsentscheidung sein, die auch über die Zukunftsfähigkeit mitbestimmt.

  • Die primäre Nutzenstiftung der technischen Plattform liegt in den Tools die sie für den Aufbau und die Pflege von sozialen Kontakten bereit stellt. Nachhaltige Wettbewerbsvorteile sind hier nur durch herausragende technische Kompetenz kurz- und mittelfristig zu erzielen.
  • Die primäre Nutzenstiftung der Community liegt in der Identität der Community, also in gemeinsamen Zielen und Werten. Hier ist ein nachhaltiger Wettbewerbsvorteil möglich, der auch über technische Defizite hinweg helfen kann.

Bei zunehmendem gleichen technischen Standard wird die Identität als Entscheidungskriterium für eine Plattform / Community wichtiger. Mit Ausbau einer plattformübergreifenden Kommunikation wird die Bedeutung der Identität noch wichtiger werden.

Veröffentlicht von

Wilfried Schock

ist seit 1980 im Marketing unterwegs und hat seit 2006 seinen Schwerpunkt in Social Media. Heute bildet er Social Media Manager aus, entwickelt Methoden rund um das Thema Social Media Strategie und digitale Geschäftsmodelle und berät Unternehmen in diesen Feldern.

Ein Gedanke zu „Communitys nach dem Hype – was zählt, wer bleibt?“

  1. Zwar sind die Ausführungen und Schlüsse auf Basis der Daten durchgängig nachvollziehbar, doch sind die Ausgangsdaten nur bedingt aussagekräftig:

    Die Daten wurden (wie schon häufiger) mit Google Trends erhoben. Google Trends kann keine Aussage darüber machen, wie viele unique Visitors eine Seite hatte. Google Trends kann nur sagen, wieviele Leute unique Visitors einer Seite über Google dorthin kamen.

    Wenn man davon ausgeht, dass diese Zahl einen konstanten Anteil aller Nutzer einer Seite darstellt, wären die Schlüsse korrekt. Ich gehe aber davon aus, dass der Anteil der Nutzer einer Community-Seite, welche über eine Suchmaschine kommen, im Laufe der Zeit rückläufig ist. Kaum ein Mitglied wird die Seite per Google suchen müssen, um sie zu finden.

    Es kann also durchaus sein, dass die realen Unique Visitors einer Seite konstant bleiben oder gar steigen, während Google Trends fällt.

    Folglich ist Google Trends als Datenquelle mit sehr viel Vorsicht zu genießen. Mit viel gutem Willen wäre die Aussage vielleicht noch zu vertreten, dass die Anzahl der neuen User rückläufig ist. (neue User werden eher über eine Suchmaschine kommen als alte User – wobei viele neuen User explizit eingeladen werden und somit auch nicht Suchmaschinen nutzen werden).

    Interessant wären die Auswertungen der Plattformen selbst, nur wird man an diese nicht herankommen.

    Sinnvoll wäre eine eigene empirische Datenerhebung – ohne sich auf Google Trends zu verlassen. Xing beispielsweise misst bei jedem Nutzer die Aktivität und bewertet diese mit einem Index zwischen 1 und 100. Interessant wäre die Entwicklung des Durchschnittwertes sowie die Anzahl der Profile. Sinkt die Aktivität bei konstanter Profil-Zahl, wäre dies ein valides Zeichen für eine sterbende Community.

    Ich möchte nicht die Schlüsse in Frage stellen, nur ist die Datenquelle dünn. Wenn es keine bessere gibt, muss man Daten eben selbst erheben.

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