Hubert Burdas Bedenken und die Realität dahinter

Hubert Burda, 73, hat sich wieder für das Internet stark gemacht. Das ist nichts Neues. Zu dem Thema hat sich Herr Burda in seiner Branche  geäussert, als die Welt der Verleger noch heil war und es dafür nur ein warmes amüsiertes Lächeln gab.

Beim European Publishers Council ging es ihm um die Chancengleichheit im Netz. Um massive Wettbewerbsnachteile europäischer Medienunternehmen bei der Internetnutzung im Vergleich mit  Facebook oder Google. Diese Wettbewerbsnachteile müssten abgebaut werden.

Gleiches Recht und faire Chancen im Wettbewerb sind keine unangemessenen Forderungen. Nur eben bereits unrealistische, wenn man die Gegenwart realistisch betrachtet. Wir haben es „im Internetbusiness“ mit

  • einer amerikanisch geprägten technischen Infrastruktur,
  • amerikanischen Spielregeln
  • marktbeherrschenden Stellungen von US Firmen in Schlüsselstellungen

zu tun. Die Gründe dieser Entwicklung sind allgemein bekannt. Das Internet ist eine amerikanische Entwicklung, die Technik wurde dort zuerst voran getrieben, die Innovationskultur war und ist ausgeprägter entwickelt. Das hat zu dieser Situation geführt – eben weil das Thema in Deutschland wie in Europa zu lange als „Neuland“ kritisch beäugt, auf Distanz gehalten oder möglichst vertagt wurde.

Betrachtet man in diesem Kontext die peinliche Hilflosigkeit Europas in der NSA Krise, wird die Abhängigkeit vom goodwill der USA noch deutlicher. Warum sollte eine Volkswirtschaft eine derart wichtige Vormachtstellung reduzieren?

Burdas Bedenken – angebracht aber zu kurz gedacht.

„Wenn Europa im Consumer Internet abgeschlagen bleibt, wird sich dies bald auch auf die Automobilindustrie, den Biotechnologiesektor oder die Medizintechnik auswirken, wo diese Schlüsseltechnologien verstärkt zur Anwendung kommen.“

Wenn es das nur wäre, könnte man seufzen, obwohl bereits diese Aussicht alles andere als erfreulich ist. Es kann deutlich schlimmer kommen und es kann nicht nur die Wirtschaft – b2b wie b2c – betreffen, sondern alle Bereiche unserer Gesellschaft.

Diese „Schlüsseltechnologien“ können u. a. auch die Nachfrage zunehmend kanalisieren. Das sie dies heute noch nicht passiert, liegt nicht daran, das es sich um Zukunftsmusik handelt, sondern daran, das die Konzerne vor lauter Möglichkeiten und globalen Chancen nicht dazu kommen, alle Potenziale gleichzeitig zu erschliessen. Big Data ist nicht zuletzt eine enorme technische Herausforderung.

Branchen killen – ein kleiner Ausblick

Das Beispiel Tourismus

Stellen wir uns vor, was Social Media mit der Tourismusbranche machen kann – einer Branche, die nicht gerade angeschlagen ist oder mir schlechter Zukunftsaussicht hadert. Zu Burdas Unternehmen gehört auch Holidaycheck – eine Bewertungsplattform für touristische Angebote. In der Tourismusbranche kennt man – auch dank Holidaycheck – die Auswirkungen von Social Media auf Kaufentscheidungen.

Ein Unternehmen wie Facebook kann relativ schnell – durch seine Möglichkeiten im Profiling und die Kenntnisse der Bedürfnisse seiner User –

  • eine Plattform wie Holidaycheck obsolet machen. Das könnte möglicherweise dem Hause Burda missfallen.
  • die Vertriebs- und Vermarktungswege der ganzen Branche umgehen und aushebeln – durch den direkten Zugang zum Kunden. Das muss aufgrund der wirtschaftlichen Bedeutung uns allen missfallen.

Wie kann Facebook eine Branchen wie die Tourismusbranche aushebeln? Facebook könnte

  • mit einem besseren Timing
  • die für den Kunden relevanteren Produkte in Verbindung
  • mit den Empfehlungen des sozialen Umfelds vermarkten.

Bevor andere Anbieter überhaupt zum Zug kommen. Oder dieses know how entsprechend meistbietend vermarkten. Das würde dann zu Lasten der Reisebüros, der Onlinevermarkter und anderer Vermarkten, aber auch zu Lasten der Reiseanbieter gehen, die entweder diesen Kanal nutzen und bezahlen oder strategische Wettbewerbsnachteile erleiden.

Einem Unternehmen, das dieses Potenzial hat, bieten sich verschiedene Optionen:

  • die Nutzung für Marketingdienstleistungen (Werbung) – das ist status quo und am einfachsten zu realisieren. Die Tourismusbranche wird kaum strukturell tangiert. Das Unternehmen verdient relativ gesehen wenig, hier macht es die Masse.
  • die Nutzung von Vermarktungsdienstleistungen (Affiliatemarketing) – das ist relativ anspruchsvoller und noch nicht status qo. Die Tourismusbranche wird in seiner Vermarktungsstruktur stärker tangiert und das Unternehmen verdient schon etwas mehr. Die Reiseanbieter werden stärker von dieser Vermarktungsstruktur abhängig, weil Onlineanbieter und Reiseanbieter weniger effizient arbeiten können.
  • die selektive Nutzung von Produkten und Anbietern. Eigene Produkte oder selektive Bevorzugung von Partnern verändert die Branchenstruktur. Global Player können sich damit „über Nacht“ strukturelle Wettbewerbsvorteile in regionalen Märkten sichern. Reiseanbieter werden zunehmend abhängig.

Wenn Sie dieses Szenario für überzogen halten, werfen Sie doch bei Gelegenheit einen Blick auf den LEH. Dort hat  ein vergleichbarer Prozess unter schwierigeren Rahmenbedingungen stattgefunden.

Wie relevant ist das?

Die Wertschöpfung der Tourismusbranche in Deutschland liegt mit 9,7% der Bruttowertschöpfung in Deutschland über der der Fahrzeugindustrie. Es geht hier also weniger um lousy pennies als um Big Business und sehr, sehr viele Arbeitsplätze.

Was wären die Folgen, wenn es General Motors gelänge, VW, DB, Audi und BWM mal in drei bis fünf Jahren auf die Hälfte ihrer wirtschaftlichen Bedeutung zurück zu fahren? Skurrile Vorstellung, nicht zuletzt weil es sich um sehr unterschiedliche Produkte handelt. Im touristischen Szenario ist die Produktqualität und Bandbreite schlicht die gleiche.

Ob und wann ein Unternehmen wie Facebook auf die Idee kommt, sein Potenzial in einer Branche zu nutzen, die allein in Deutschland in 2012 eine Wertschöpfung von knapp 100 Mrd € erzielt hat, ist offen. Die volkswirtschaftliche Bedeutung bezieht sich auf eine Vielzahl von Branchen. Die Entwicklung eigener oder europäischer Konzepte und deren Vorlauf lassen es geraten sein, diese Möglichkeit nicht auszuschliessen oder auf eine ferne Zukunft zu verschieben sondern sich zeitnah darauf einzustellen.

Gefährdete Branchen?

Unerfreulicher Weise sind nicht nur Medienunternehmen oder Tourismusbranche gefährdet von diesen „neuen Schlüsseltechnologien“ tangiert zu werden. Letztlich zieht sich das quer durch alles b2c Branchen und auch b2b wird davon tangiert. Einige Berufszweige könnten sehr bald nur noch nostalgische Gefühle produzieren.

Handlungsalternativen?

Die Fahrzeugbranche und deren Bedürfnisse waren schon unter Kanzler Schröder „Chefsache“. Unter Kanzlerin Merkel und ihren Nachfolgern wird dies kaum anders sein. Diese Schlüsseltechnologien – um Herrn Burda zu zitieren – tangieren mehr als „nur“ den Wohlstand den die Fahrzeugbranche schafft. Diese Schlüsseltechnologien tangieren deutlich mehr Branchen als sie unbeeinflusst lassen.

Was unseren Wohlstand gefährdet sind wir selbst. Die Unternehmen, die zögerlich warten, die Politik, die das Thema nicht anpacken will, weil sie es nicht versteht oder die Priorität nicht erkennt.

Erschwerend kommt dazu, das Deutschland hier längst nicht mehr allein handeln kann – wenn es denn handeln wollte. Wir brauchen eine Europäische Lösung. Für ein Internet, dessen Neutralität wir selbst sichern können. Für Regeln, die auch marktgemachte Monopole bändigen. Ansonsten werden wird Europa durch die Hintertür auf einem strategisch wichtigen Feld rekolonialisiert. China hat dieses Risiko für sich selbst ausgeschlossen – wenn auch teilweise aus ganz anderen Gründen.

Also, lieber Herr Burda, bleiben Sie hartnäckig, laut und deutlich weiter am Ball. Für die Medienbranche, aber eben nicht nur. Es ist nötig. Die Realität wird ansonsten unerfreulicher als uns das lieb sein kann. Und vielleicht wecken Sie ja den einen oder anderen Kollegen oder Politiker.

Brigitte zweinullig

Ja, auch im Flaggschiff der Frauenzeitschriften von Gruner & Jahr ist Web 2.0 angesagt. Bfriends.de heisst die Seite, die die weiblichen Jünger von Brigitte in einer Community versammeln soll.

Wenn es gestern noch Barack Obama war, der mich glauben läßt, das Veränderung möglich ist, muss ich heute zugeben, das Brigitte mit bfriends das „Yes, we can“ zumindest einstellt. Was aber natürlich nicht bedeutet ist, das Brigitte in bfriends mit diesem Slogan unterwegs ist. Dafür ist man auch hier zu spät. Nein, Bfriends ist ein sicheres Indiz dafür, das man beginnt das Thema web 2.0 in den größeren Verlagshäusern als das zu verstehen, was es tatsächlich sein kann: die mögliche Unabhängigkeitserklärung der Leser. Bevor ich mir vorstelle, das sich die Leserinnen von Brigitte, einem tapferen Schlachtschiff der Gleichberechtigung emanzipieren könnten, wechsle ich lieber die Perspektive. Gruner & Jahr steigen jetzt ebenfalls ins Communitybusiness ein. Nach bequeen von Burda kommt eben bfriends. Wer A, wie Auflagenrückgang, sagt, muss jetzt eben auch B sagen.

Interessanter Weise ist dieser Markt schon reichlich dicht gedränkt. Wirft man z. B. einen schnellen Blick in die Mediadaten aus dem Hause Glam begegnet man einigen Verlagsangeboten mit mehr oder weniger ausgeprägten Communitybestandteilen. Allen gemeinsam ist, das sie bestenfalls am Anfang ihrer Karriere stehen, um es mal positiv auszudrücken.

Werfen wir einen Blick darauf, was uns Google Trends zu diesen Ablegern von Printprodukten – Ausnahme Womensweb – sagt und da zeigt sich, das der zarte Anfang immer noch sanfte Pastelltöne trägt. So richtig viel her macht da niemand von sich.

Bislang sind die erfolgreichen Web 2.0 Unternehmen der Verlage durch Einkäufe ins Konzernportfolio gekommen. Im Bereich der Frauenportale gab es allerdings nichts zu kaufen. Ausserdem versucht man die Erfolge des Printmodells auf den Onlinebereich zu übertragen. Das dies nicht sonderlich erfolgreich ist, sieht man nicht nur im Bereich der Magazine. Letztlich trifft hier alle Verlage und Medienhäuser das gleiche Schicksal: die goldenen Zeiten sind vorbei. Im Internet werden definitiv nicht die Preise erzielt, die im Printbereich gang und gäbe waren. Der Grund dafür ist einfach. Online ist die Wirkung von Marketingkommunikation eben sehr viel klarer und schneller messbar. Die Hoffnung Online den Rückgang von Print auszugleichen hat bislang getrogen und es ist kein Ansatz in Sicht, der diese Hoffnung stärkt. Ob man mit den Communitys von Onlineablegern der Printmedien gegen die etablierten Social Networks ankommen wird, ist eher zweifelhaft.

Die einzigen Erfolge, die die Medienbranche auf diesem Feld bislang vorzuweisen hatte, sind ihre Einkäufe. Bislang sind die allerdings auch keine Ertragsquellen geworden sondern Zuschussgeschäfte geblieben. Wie tief die Desorientierung der Verlage schon geht, sieht man auch daran, wie bfriends in website von brigitte.de eingebunden ist. Die geneigte Leserin loggt sich bei brigitte.de ein und landet bei bfriends.de – weg vom wertvollen journalistischen Content, der doch angeblich so viel wichtiger ist, als der user generated content.