Ich-will-Europa.de Рwie man die Einigung Europas besser f̦rdern k̦nnte

Vorneweg – es ist immer besser, etwas zu tun, als ein Problem nur zu beklagen. Noch besser ist es allerdings etwas zu tun, das dieses Problem lösen hilft. In diesem Sinn ist die Kampagne „Ich will Europa“ sinnvoll, aber nicht überzeugend zielführend.

Wie könnte eine problemorientiertere Alternative aussehen?

Das Problem:

Die Bundeskanzlerin spricht in ihrem Grußwort zur Kampagne einige entscheidende Punkte an:

  • eine Verunsicherung der Bürger – nicht zuletzt durch aktuelle Krisen wie durch Unklarheiten über das Ziel,
  • eine (Vertrauens-)Krise, die sich über lange Jahre hinweg aufgebaut hat und
  • einen langen, beschwerlichen Weg, der vor uns liegt.

Die europäische Einigung ist ein historisches Projekt, an dem seit Generationen gearbeitet wird. Vom einstigen Glanz und der Begeisterung ist einiges verloren gegangen: weil wir uns an Erfolge als Selbstverständlichkeit gewöhnt haben, aber auch weil wir als Bürger immer weniger aktiver Teil dieses Prozesses sind oder nicht vermittelt bekommen, wohin uns dieser Prozess denn konkret führen soll und wie dieses „Europa“ denn konkret aussehen soll. (Wer bestellt schon ein Fahrzeug, wenn er nicht eindeutig gesagt bekommt, ob es ein Cabrio oder ein Kombi ist, für den er unterschreiben soll.)

Fazit: ein Vertrauensverlust, der sich aus verschiedenen Quellen über Jahre hinweg speist, Unklarheit darüber, was das konkret Ziel des Einigungsprozesses ist und die Erfahrung, das man als Bürger so weit als möglich aus diesem Prozess herausgehalten wird, lassen sich nicht durch eine Kampagne korrigieren. Das ist so klug wie der Versuch einen Marathonlauf gewinnen zu wollen, in dem man seine Kräfte in einem Sprint auf den ersten 100m konzentriert.

Problemorientierte Alternative

Ein problemorientierter Ansatz zur Rückgewinnung von Vertrauen und Engagement für die Einigung von Europa ist der Einsatz von Social Media in einer Form, die der Natur von Social Media entspricht –  der einer permanenten, kommunikativen und partizipativen Infrastruktur.

Wer Facebook  als Unterstützung einer zeitlich begrenzten Kampagne für ein politisches Ziel einsetzen will, sollte bedenken, das er damit genau das alte Schema bedient, das Politik vor Wahlen plötzlich den Bürger als Wähler entdeckt und ihn danach bis zur nächsten Wahl „vergißt“. Dieses Verhalten wird in Social Media sehr viel deutlicher als in anderen medialen Bereichen.

Wenn das Ziel ein langer Marathon ist, ein ständiges Ringen um Unterstützung und Zustimmung, sollten die Instrumente, die genutzt werden, dieser Herausforderung gerecht werden können. Social Media kann das leisten, aber nicht als Begleitmusik einer medialen Kampagne.

Social Media hat faktisch die Spielregeln der Politik zumindest in einem Punkt verändert:

War es früher praktisch kaum möglich den Bürger kommunikativ und gestaltend einzubinden, bietet Social Media jetzt das Werkzeug dafür.

Wenn die Möglichkeit vorhanden ist, aber nicht genutzt wird, kommt dies aus Sicht der Bürger einer mehr oder weniger deutliche Absage an sie gleich. Der Bürger als Mitgestalter ist damit nicht erwünscht. Das der Bürger als Entscheider auf dieses Verhalten unangenehm reagieren kann, macht die Situation für die Politik nicht einfacher. Letztlich gibt es zwei alternative Verhaltensweisen:

  • Eine deutlich weiter gehende Einbindung der Bürger als bisher = mehr Partizipation.
  • Deutlich weniger Entscheidungsmöglichkeiten für die Bürger als bisher = weniger Demokratie.

Schlicht formuliert: wenn ich Menschen permanent bei einem Projekt ausschließe, wo ich sie beteiligen kann und sie beteiligt werden wollen, sollte ich mich nicht wundern, das sich diese Menschen eher gegen dieses Projekt entscheiden, statt dafür. 

Social Media und die Mitgestaltung der Europäischen Union

Konzentrieren wir uns erst einmal auf die positive Mitgestaltung an einer Europäischen Einigung innerhalb einer Europäischen Union. Ich vermeide das Schlagwort „Europa“ ganz bewusst. Zu Europa gehören unter anderem auch Weissrussland mit Lukaschenko und ein wesentlicher Teil von Russland mit seiner Demokratie im Putinschen Verständnis. Und beiden will ich auf absehbare Zeit nicht in meinem europäischen Staatsgebilde als Mitgestaltenden begegnen.

Hier nur 3 grundlegende Kriterien für eine zielführende Nutzung von Social Media zugunsten des EU Einigungsprozesses:

Permanent: Das Projekt Europäische Einigung ist eines von langer Dauer. Social Media ist primär eine Infrastruktur (und nicht Kampagnenplattform) ermöglicht die Installation von Infrastrukturen, in denen Bürger stetig am Prozess mitwirken – durch Diskussion, Austausch, Initiativen, Kritik und Vorschlägen.

Partizipativ: Die Mitwirkung an Europa nur auf „sich informieren“, simple allgemeine Meinungsäußerungen und eine nachträgliche Bestätigung als Wähler ist nicht mehr ausreichend und auch nicht mehr zeitgemäß. Wer sich engagieren will, soll auch aktiv werden können und dazu eigene Ideen einbringen oder sich aus einem Werkzeugkasten von Aktivitäten, Aktionen und Beteiligungsmöglichkeiten – permanent wie temporär – bedienen zu können.

Integrativ: Darunter ist sowohl die Integration der Bürger und der unterschiedlichsten Meinungen wir auch die Integration dieser Infrastruktur in den Social Media Alltag der Bürger zu verstehen. Irgend welche Initivativen auf freier Flur, die von den Bürgern weder wahrgenommen werden, noch Teil ihres Alltags werden können, sind weniger zielführend im Sinn einer Meinungsbildung pro Europa, als eine Infrastruktur, die sich zum Teil des Social Media Alltags der politisch interessierten Bürger Europas macht.

Nur der Vollständigkeit halber seien in diesem Zusammenhang erfolgsrelevante Aufgaben wie ein kompetentes Community Management und Volunteer Management erwähnt. Es handelt sich eigentlich um Selbstverständlichkeiten, aber leider auch um Seltenheiten, weil hier kompetente Ausbildung, und nachfolgend fachliche Kompetenz und erfahrenes Personal rar sind.

Wie sollte eine Social Media Infrastruktur konkret aussehen, die den Europäischen Einigungsprozess zielführend unterstützen kann? Die Art der Umsetzung und die Einbindung dieser Infrastruktur in die Social Media Landschaft und die Social Media Nutzung der Bürger ist ein komplexes wie umfassendes Thema, das nicht nur eine hohe technische Kompetenz und technologische Kenntnis der bestehenden Social Media Strukturen sondern auch eine entsprechende, gestaltende Social Media Kompetenz erfordert, die zwangsläufig weit über die Fähigkeit zur Nutzung von Facebook Fanpages hinausgeht. Leider auch sehr weit über die  Möglichkeit sie in einem Blogpost auch nur ansatzweise vernünftig darzustellen (auch dieser Post ist wieder zu lang). Deshalb bitte ich um Verständnis dafür, das ich hier keine komplette Blaupause einstelle. Es mag zynisch klingen, aber wer die 3 vorgenannten Kriterien nicht als Gestaltungsmethode und Messlatte für eine Social Media Infrastruktur übersetzen und nutzen kann, ist auch mit der qualitativ ausreichenden Umsetzung einer Gebrauchsanweisung oder Blaupause überfordert. In diesem Fall ist es empfehlenswerter sich kompetenten Rat einzuholen als zu versuchen sich mit trial and error einer funktionierenden Lösung anzunähern.

Social Media Risiken für den Europäischen Einigungsprozess

Social Media kann natürlich auch sehr effizient gegen einen Einigungsprozess genutzt werden, der zu einem unklaren und für den Bürger nicht erkennbaren Zustand führen kann. Was man nicht kennt, wird eher selten bestellt und wenn es dann an der Haustüre spontan im Stil einer Dosensuppe präsentiert wird, eher misstrauisch abgelehnt.

Die Erfahrung – auch aus dem lokalen Phänomen Stuttgart 21 hier vor Ort – zeigt nur zu deutlich, das ein Fehlen einer wirksamen Social Media Strategie und Infrastruktur in einer Wettbewerbssituation in der sich eine Seite dieser Möglichkeit etwas kompetenter bedient, doppelt ins Gewicht fällt und faktisch nicht auszugleichen ist.

Mit dem Aufbau einer Social Media Strategie und Infrastruktur abzuwarten, bis pure Notwendigkeit sie unausweichlich macht, bedeutet allerdings auf deren Wirkung zumindest teilweise zu verzichten: der Vorlauf, den eine solche Infrastruktur benötigt, bis sie ihre ganze Wirkung ausspielen kann, wird deutlich unterschätzt. Mit anderen Worten – wer beispielsweise ein Jahr vor Wahlen darüber nachdenkt, wann er mit einer „Social Media Kampagne“ starten sollte, hat nicht nur das Thema Social Media nicht ganz verstanden, sondern auch den Zug faktisch schon verpasst und wird nur noch einen Teil der möglichen Wirkung erzielen.

Im Falle des einen oder anderen Politikers mag das fürs Grosse und Ganze vielleicht sogar konstruktiv sein. Im Fall der Europäischen Union und ihres Einigungsprozesses ist das alles andere als wünschenswert und akzeptabel. So gesehen bleibt mir nur zu hoffen, das die Kampagne noch die Kurve kriegt, oder zumindest als Beispiel wie man es besser nicht machen sollte, nützlich sein wird.

 

Ich-will-europa.de – Kampagne für Europa

Social Media und EU Politik

Ich-will-Europa.de ist eine Initivative, die der Europäischen Einigung wieder ein positiveres Bild verschaffen soll. Positive Nachrichten von Euro und Europa sind in letzter Zeit tatsächlich Mangelware. Nicht zuletzt weil wir uns an die positive Wirkung Europas für uns als Bürger wie für unsere Wirtschaft gewöhnt haben. Sie scheint selbstverständlich zu sein. Ist sie aber nicht. Hier geht es zu den Grussworten der Bundeskanzlerin zu dieser Kampagne.

Gut gemeint ist nicht gut gemacht.

Die Kampagne „Ich will Europa“ ist sicher gut gemeint, aber ob sie gut gemacht ist, steht aus meiner subjektiven Sicht aus einem anderen Blatt. Der Gedanke, das sich Menschen positiv über Europa äussern ist sicher etwas erfreuliches. In der Produktwerbung nennt man das Testimonials und wenn man dafür Prominente gewinnt oder bezahlt, sollen Testimonials besonders gut wirken.

Schade nur, das immer weniger Bürger der Werbung vertrauen. Und das Europa kein Akzeptanzproblem hat, das mit Waschmittelwerbung weggewaschen werden kann.

Betrachtet man die Kampagne und ihre Methoden – Testimonials und Verlage als Partner – fühlt es sich bei mir an, alsl würde man ernsthaft versuchen ein Vertrauens-, Informations-, Glaubwürdigkeits und vor allem Partizipationsproblem mit werblichen Mitteln zu lösen.

Ich-will-Europa.de illustriert das Problem

Der Bürger soll Informationen konsumieren, bekommt Vorbilder vorgeführt und soll bitte zustimmen. Partizipation, mitmachen, mitgestalten, mit Europäer sein und sich mehr als mit einem Kopfnicken respektive einem Votum an der Wahlurne zu beteiligen ist in dieser Kampagne nicht vorgesehen. Und das ist zunehmend symptomatisch für den Einigungsprozess an sich.

Wir erleben gerade eine Entwicklung des Einigungsprozesses, der sich durch den Druck der Märkte geradezu verselbständigt und in dem der Bürger bestenfalls staunender Zuschauer ist. Und in dem die Politik nach den Erfahrungen mit der Europäischen Verfassung versucht den Souverän als Risikofaktor aus der Mitwirkung so weit als möglich auszuschließen. Das sich dadurch die Akzeptanz des aktuellen Prozesses nicht unbedingt erhöht, ist nachvollziehbar. Was ich nicht verstehe, was ich nicht erklärt bekomme und was mich nicht überzeugt, das kaufe ich besser auch nicht.

Der Bürger soll Europa wollen – aber bitte nicht mitgestalten oder mitreden.

„Ich will Europa“ kommt weitgehend Social Media Part einher. (Eine Facebook Seite und gelegentliche Tweets sind kein Social Media Part. Social Media, das diesen Namen verdient, bezieht die Bürger mit ein.) Wer das als Zufall betrachtet, hofft, das die Initaitoren nicht auf der Höhe der Zeit sind. Wenn es kein Zufall ist, kann man dieses Verhalten auch als Misstrauensvotum gegenüber dem Bürger verstehen. Ein Misstrauen, das sicher kein Zutrauen in die Europapolitik produzieren und eher Widerstand und Gegenreaktionen produzieren wird. Unter #ichwilleuropa sehen Sie ein kleines Bild dieser Reaktion. Ein Blick auf die Facebook Seite  zeigt auch hier, das man Social Media zwar irgendwie machen will und muss, aber zugleich auch keinen Plan hat, wie man damit gestalten kann.

Ich will Europa – gerne, aber welches eigentlich bitte?

Wir hatten keine wirkliche Diskussion über die Art Europas, die wir anstreben – ein föderales Europa oder einen europäischen Zentralstaat? Wir haben aus meiner Sicht auch nicht wirklich intensiv über eine europäische Verfassung diskutiert. Wir dürfen sagen, das wir Europa wollen – einen Kontinent, der da ist und auch da bleiben wird, wenn wir ihn nicht wollen. Nicht aber sollen wir sagen, welche Art von Europäischer Union wir wollen und wer dort über was zu entscheiden hat.

Ja, ich will Europa und ich will eine starke und demokratische Europäische Union. Möglicherweise Sie auch. Und Frau Merkel und Herr Westerwelle ganz sicher. Aber wollen wir alle das gleiche? Solange ich nicht weiss, was in der Wundertüte drin ist, die mir unter dem falschen Etikett Europa verkauft werden soll, sollte es niemand verwundern das ich sie nicht blind kaufen. Und wenn ich das Gefühl habe, das auch der Verkäufer nicht so ganz genau weiss, was er mir da denn verkaufen will, oder er zumindest nicht mit mir darüber reden will, solange vertraue ich ihn auch nicht so ganz.

Unsere britischen Miteuropäer sind derzeit eher dafür dieses „Europa“ zu verlassen, obwohl sie das teuer zu stehen kommen könnte. Vermutlich liegt das an der Insellage und der maritimen Geschichte. In einem Schiff, dessen Kurs unklar ist und dessen Kapitäne auch nicht zu wissen scheinen, wohin sie wollen aber jeder mal gefühlt in den Nebel hinein dampfen darf, fühlt man sich nicht zwingend gut aufgehoben.

Je länger wir mit einer umfassenden und breiten Diskussion über das Europa, das wir wollen, warten, je länger Europas Bürger auf „Zustimmer“ reduziert werden, statt Mitgestalter zu sein, desto britischer droht die Stimmung zu werden. Marketingkampagnen helfen auf Dauer nicht als Ersatz dafür Politik zu erklären und über die Diskussion Mehrheiten für Europa zu schaffen. Die Menschen, die sich in dieser Kampagne für Europa aussprechen haben ihre guten Gründe dafür. Ich habe keinen Grund gefunden, den ich nicht teilen kann (aber natürlich nicht alle Gründe aller Unterstützer angesehen). Was ich nicht gefunden habe ist eine einigermaßen klare gemeinsame Vorstellung von diesem Europa. Wie es strukturiert sein soll. Wer wo wie viel zu entscheiden hat.

Europa ist ein hübsches nacktes Mädchen auf einem Stier.  Soviel zur griechischen Mythologie. Oder ein Kontinent, der da ist egal ob wir das wollen, oder nicht. Wie diese neue, andere Europäische Union aussehen soll, auf die wir gefühlt gerade von Märkten getrieben mehr oder weniger ungesteuert zutaumeln, das wäre das eigentliche Thema.  Aber das Thema ist für eine platte Kampagne sicherlich eine Nummer zu gross.

Was hat dieses Thema eigentlich mit Social Media zu tun?

Politik ohne Social Media ist ein bischen wie Demokratie ohne Wähler. Sieht auf den ersten Blick einfacher aus, funktioniert aber nicht wirklich gut und kann letztlich ganz unerfreulich enden. Social Media ist – wie Europa – da, egal ob wir das wollen oder nicht. Was wir daraus machen, ist ein anderes Thema. Wenn Social Media nicht kompetent für eine Europäische Union genützt wird, bedeutet das nicht, das Social Media nicht gegen eine undefinierte, dadurch unbekannte und deshalb unerwünschte „andere“ Europäische Union genutzt werden kann. Social Media kann politischen Realitäten drastisch und schnell verändern, wie das Beispiel des Nahen Ostens zeigt.
[imn-medien]

Social Media Kampagnen- ein Widerspruch in sich

Mit dem Begriff Social Media Kampagne werde ich immer wieder konfrontiert und kann mich um so weniger anfreunden, je beliebter er wird. Nicht zuletzt deshalb weil Social Media Kampagnen ein Widerspruch in sich sind. Natürlich können mediale Kampagnen durch die Einbindung von Social Media Elementen optisch gewinnen, aber das macht daraus alles andere als erfolgreiches Social Media Marketing.

Warum Social Media und Kampagne nicht zusammenpassen

Es handelt sich bei Social Media und bei Kampagne einfach um ganz unterschiedliche Ansätze, die nicht harmonieren können. Um den Unterschied mal mit Beispielen zugespitzt darzustellen:

Die zivile Beispielsversion:

  • Mit Kampagnen lässt man bunte Drachen steigen, um die Aufmerksamkeit auf ein Thema zu richten und eine Information zu verteilen.
  • Mit Social Media baut man Flughäfen auf denen Fluggeräte starten und landen.

Das nicht ganz so zivile Beispiel für Anglophile:

  • Kampagnen zählen mehr zur Kategorie „fire and forget.“
  • Social Media passt besser in die Schublade „seed and raise“.

Social Media ist mehr als Blog PR

Social Media ist eben mehr als Blogger dazu zu animieren, über ein bestimmtes Thema zu schreiben und es so weiter zu verbreiten und zum Thema der „Community“ zu machen.

Ich schreibe das Wort Community hier sehr bewußt in Anführungszeichen. Das halte ich immer für angebracht, wenn ganz allgemein über „die Community“ geredet wird, ohne das dabei klar wird ob es sich um die Gemeinde Wolfenbüttel, einen Verein zur Förderung sorbischen Volkstanzes, die Vereinigung der Harley-Davidson Fahrer von XYZ oder die Fangruppe „Nordkurve“ handelt. Facebook ist übrigens keine Community.

Erinnern wir uns – Social Media ist nicht zuletzt durch den Dialog auf Augenhöhe gekennzeichnet. Bei Blogs fällt dieser Dialog auch dann nicht ganz so intensiv aus, wenn die Augenhöhe stimmt. Blogs sind nun mal mehr Sender als Empfänger. Dialog besteht aus beidem.

Wenn wir von Social Media reden, kommen wir gar nicht um Communitys, Soziale Netze und Social Network Plattformen herum.

Social Network Plattformen: Technische Plattformen, wie Facebook, wer-kennt-wen, etc.

Communitys: Gruppen mit gemeinsamen Interessen, Zielen, Werten.

Soziale Netze: im Einzelfall persönliche Freundes-/ Bekanntenkreise, in der Mehrzahl die Anhäufung davon.

Und bei Werbekampagnen in Social Network Plattformen denken wir immer an die wirklich geringe Resonanz, die uns vor gaugelt, das Werbung in diesen Plattformen schlichtweg nicht  wirken kann. Kann sie auch nicht. Dort hat es der Werbeempfänger leichter die Plattform zu nutzen, ohne das er die Werbung wahrnehmen muss. Dazu braucht er nicht mal technische Hilfsmittel. Er kann sich einfach daran gewöhnen bestimmte Bereiche in der Wahrnehmung als Belästigung einfach auszublenden. Das schön daran – das geht schnell und wie von selbst.

Das Audience – Problem bei Social Media

Die meisten Marketer sind klassisch geprägt. Das heißt, sie sind gewohnt, das ihnen das Medium, das sie benutzen auch gleichzeitig die Audience liefert. Audience steht für eine Zuhörerschaft, die für eine Information zwangsläufig aufnahmebereit ist. Wer ins Fernsehgerät sieht, bekommt die Werbung mehr oder weniger zwangsläufig mit, wer Radio hört, den Spot, wer Zeitung liest, die Anzeige. Zumindest in den Social Network Plattformen können wir nicht mehr automatisch davon ausgehen, auf eine Audience zu stoßen. Die Leute dort sind nun mal aus einem ganz anderen Grund dort, als Werbung wahrzunehmen.

Natürlich sehe ich nicht fern um Werbung zu sehen. Allerdings sehe ich auch nicht schnell genug weg um sie nicht wahr zu nehmen. Anzeigen kann ich überblättern, wenn mich die Botschaft nicht direkt erwischt. Da wir immer ein bißchen besser darin werden, Abwehrmechanismen gegen Zwänge zu entwickeln, wird es für die Zwangsbewerber zunehmend aufwändiger ihre Botschaften auf diesem Web zu vermitteln.

Bei Social Media muss diese Audience erst erarbeitet werden. Dialog und Ãœberzeugung sind hier das Nadelöhr, durch das die Botschaft muss. Das ist auch nicht ohne Aufwand zu bewerkstelligen. Im Unterschied zu den klassischen Medien resultiert der Aufwand eben nicht in den hohen Kosten der Nutzung einer Medienplattform, sondern – verkürzt, vereinfacht und grob dargestellt, ich weiß – darin das für die Botschaft erst eine eigene Audience geschaffen werden muss.

Das Beispiel Brücke als Eselsbrücke

Ich muss mich für den Begriff Eselsbrücke entschuldigen. Er ist defintiv nicht political correct. Das Beispiel dahinter ist hoffentlich praktisch hilfreich.

Stellen Sie sich vor, ein Mann baut eine Brücke, um einen Sack über einen Bach zu befördern. Das Vorhaben gelingt. Die Brücke steht, der Sack wird über den Bach getragen und anschließend wird die Brücke wieder abgebaut.

Wäre das nicht ein schönes Beispiel für einen  Schildbürgerstreich? So funktionieren in etwa so genannte Social Media Kampagnen. Wir bauen mehr oder weniger erfolgreich eine Audience auf, fahren dann einen Informationsmonolog ab und lassen eine Audience zurück, der wir einen Dialog versprochen haben. In der nächsten Kampagne ködern wir unsere Audience mit einem coolen Gimmick odeer suchen uns eine neue.

Tröstliche Worte zum Schluß

Auch wenn dies vielleicht ein wenig zynisch klingt, aber es gibt tatsächlich Trost für all jene, die für teures Geld Social Media Kampagnen gebucht haben und damit erfolglos waren: Es hätte deutlich schlimmer kommen können.

Social Media Kampagnen worst case

Social Media beruht auf dem Angebot einen Dialog auf Augenhöhe zu führen. Man stelle sich vor, ein Konsumgüterhersteller hätte eine Kommunikationsagentur mit einer Kampagne in Social Media beauftragt und viele Kunden hätten dieses Angebot freudig angenommen, weil sie Unternehmen und Produkte hoch schätzen, den Dialog von ihrer Seite aus gestartet und wären ins Leere gelaufen. Weil weder die Agentur noch die Marketingabteilung des Unternehmens darauf eingestellt waren, einen echten Dialog mit vielen Kunden aufrecht zu erhalten. Wie viele Kunden wären frustriert, wie viele hätten sich wohl nicht ernst genommen gefühlt, oder schlimmeres?

So gesehen ist es für den einen oder anderen doch eher ein großes Glück, wenn seine Social Media Kampagne ein gesunder Flop war.

Und wenn man Ihnen eine Social Media Kampagne verkaufen will, bleiben Sie ruhig und lächeln Sie freundlich. Ihr Gegenüber weiß es vielleicht wirklich nicht besser. Halten Sie ihm also zu Gute das er ganz fraglos Ihr bestes will.

Obama und Social Networking – warum es eine vergleichbare Kampagne in Deutschland nicht geben wird.

Barack Obama hat mit seiner Form des Wahlkampfs bewiesen wie wirkungsvoll diese Methode ist. Ein Nobody schlug damit die etablierten Politiker eindrucksvoll aus dem Feld. In Deutschland ist nichts vergleichbares zu befürchten. Dafür gibt es Gründe, die sowohl in der Ausgangslage von Obama als auch in der Struktur unserer Parteienlandschaft und unserer politischen Verfassung liegen. 

Obama startete als sicherer Verlierer. 

 

Aktivieren durch Dialog
Aktivieren durch Dialog

Bis vor seiner Rede auf dem Konvent der Demokraten 2004 war Obama ein unbekannter Senator eines weniger wichtigen Bundesstaates. Niemand den man wirklich kennen musste. Als Obama 2007 als Bewerber für die Kandidatur der Demokraten antrag, war eigentlich längst klar, das Hillary Clinton das Rennen machen würde. Sie hatte die Partei hinter sich, war etabliert, verfügte über die nötigen Mittel. Obama hatte in der eigenen Partei wenige hinter sich, war den Amerikanern weitestgehend unbekannt und ohne die nötige wirtschaftliche Unterstützung. In einer Ausgangssituation wie dieser bleibt entweder die Hoffnung auf ein Wunder oder eine völlig neue Strategie. War es der Mut der Verzweiflung oder das Vertrauen auf die amerikanischen Bürger und deren Unterstützung? Vielleicht beides. Zumindest war dies die Voraussetzung für eine mutige, neue Vorgehensweise. Obama tat genau das, was mit Wahlen eigentlich bezweckt wird. Er legte sein politisches Schicksal ohne Wenn und Aber in das Hand derer, für die er antrat. Natürlich gehört zu dieser Vorgehensweise eine klare Position und eine ansteckende Überzeugungskraft und der Wunsch nach Wechsel bei der Bevölkerung.

Deutschland steht für Politik mit geringer Bürgerbeteiligung 

In Deutschland kann weder der Wunsch nach Wechsel noch das größte Charisma eines Außenseiters, ergänzt durch eine brillante Kampagne zu einem ähnlichen Ergebnis führen. Das ist in unserer Verfassung schlichtweg nicht vorgesehen und auch nicht möglich. 

Unser Regierungschef wird nicht vom Volk in direkter Wahl gewählt. Wir wählen Volksvertreter, die uns eine politische Partei vorgeschlagen hat. Diese Vertreter ihrer Partei wählen, sofern sie die entsprechende Mehrheit errungen haben, den Kanzler. Dieses System schützt die Politiker gleich auf 2 Ebenen vor Überraschungen. Die zur Wahl stehenden Volksvertreter werden nicht vom Volk gewählt, sondern von den Parteien. Wer eine Chance haben will, gewählt zu werden, braucht entweder einen sicheren Listenplatz oder einen sicheren Wahlkreis. Das immer mehr Menschen diese Form von Politik als Bevormundung empfinden, ist nachvollziehbar. Die Partei der Nichtwähler hat in Deutschland letztlich die höchste Zustimmung. Das führt dazu, das eine Partei, die mit Mühe geradeso die Stimmen eines knappen Viertels der Wahlberechtigten bekommen hat, die Geschicke des Landes lenken kann. 

Wer in Deutschland Regierungschef werden will, kann das nur über den Weg der Partei und deren Unterstützung werden. Aussenseiter müssen hier leider draußen bleiben. Die deutschen Parteien werden diese Situation nicht ohne große Not ändern. Und dafür das sie nicht in diese Situation kommen sorgt die Methode der repräsentativen Demokratie und die Wahl der Volksvertreter durch die Parteien. Der mündige Bürger soll bitte nur noch alle vier Jahre brav abnicken.  Wenn er damit nicht zufrieden ist, bleibt ihm ja die Wahl in eine Partei seiner Wahl einzutreten und damit das System indirekt zu erhalten.  

Es wird sehr oft über den Politikverdruss in Deutschland gesprochen, um nicht darüber sprechen zu müssen, das die Menschen nicht die Politik leid sind sondern diese Form der Politik und deren Repräsentanten. 

Social Networks und Politik

Was hat dieses Thema jetzt mit Communitys / Social Networks zu tun? ‚Auf den ersten Blick wenig. Auf den zweiten sieht man, das sich in Social Networks Bürger organisieren und vernetzen, das Social Networks Einfluss auf Stimmen und Stimmung haben und aufgrund ihrer kommunikativen Reichweite durchaus mit Medien zu vergleichen sind. Da wo unsere Medien sich mit den politischen Zuständen weitestgehend arrangiert haben, bieten Social Networks durchaus wirkungsvolle Ansätze, die Strukturen aufzulösen, die den Bürger möglichst weit von Entscheidungen fern halten soll. Die USA verfügen nicht nur über das System der Vorwahl, das den Bürgern die Wahl ihrer Vertreter erst ermöglicht, sondern auch über schlagkräftige Organisationen der Bürger, die dafür sorgen, das desen Rechte auch erhalten bleiben.

Bei einem Blick auf die Landschaft der Social Networks in Deutschland haftet dieser These  sehr viel fiktionäres an. Wir sehen StudiVZ, MeinVZ, wer-kennt-wen und nichts was politisch relevant ist. Das erinnert an den Wald, der den Blick auf die Bäume verstellt. Innerhalb dieser Strukturen kann sich jederzeit eine wirkungsvolle Bewegung entwickeln. Und wir sollten nicht vergessen, das wir in Deutschland erst am Beginn des social networkings stehen und dieser Prozess mit atemberaubender Entwicklung abläuft. 

 

Vernetzung und Kommunikation sind die Grundlagen der Veränderung. 

Was könnte der Bürger mit Hilfe der Organisation in Social Networks tatsächlich erreichen?Das Themen diskutiert werden. Erst in den Networks, dann in den klassischen Medien. Wenn wir bedenken, das die großen Netzwerke bereits heute eine mediale Reichweite haben, die deutlich jenseits von BILD liegt, wird deutlicher, das hier ein Instrument heranwächst, das Einfluß nehmen kann. Die Verhältnisse werden sich nur unter Druck ändern und dieser Druck muss erst einmal aufgebaut werden. Der Einzelne bewirkt hier naturgemäß wenig, aber schon wenige Einzelne erhalten in Social Networks eine beachtliche mediale Reichweite. Die Ansätze dafür, besser die Notwendigkeit, liefert die Politik allemal. Wer beispielsweise in der größten Wirtschaftskrise unseres Landes jemand zum Wirtschaftsminister ernennt, der selbst keinen Anschein von Kompetenz herbei argumentieren kann, hat als Politiker mehr als nur ein Vermittlungsproblem einer Personalie. Ein Regierungschef der sich in Krisenzeiten solch einen Minister vorsetzen läßt, weckt Zweifel an seiner Kompetenz und Handlungsfähigkeit. 

 

Veränderung ist möglich. Auch in Deutschland. 

Die Uhr kann für diese Form von Politik längst ticken, wenn die Bürger dies nur wollen. Die Organisationsformen und die Medien dafür stehen bereit.

In diesem Sinne hiesse das Motto auch bei uns change. Vom aktuellen Beispiel abgeleitet: Change Guttenberg oder change Merkel.