New York Times und Facebook – der faustische Pakt und die Ironie dahinter

Quality News. Quelle TechCrunch / Goodwin / Havas
Quality News. Quelle TechCrunch / Goodwin / Havas

Tom Goodwin in Linkedin, senior vice president of strategy and innovation bei Havas Media, schreibt in TechCrunch über die Zusammenarbeit der New York Times und Facebook und bezeichnet sie als „faustischen Pakt“. Das ist nicht nur eine plakative, ausdrucksstarke Beschreibung, die Beschreibung der Grundlagen dieser Einschätzung ist auch lesenswert.

Goodwin beschreibt kurz gefasst das Dilemma das aus der Kombination aus der Digitalisierung von Geschäftsmodellen und Social Media hervorgeht. Die freie Verfügbarkeit von Quality News aus Medienhäusern wie New York Times und BILD (ja die BILD gilt in den USA als Quelle von Qualitätsjournalismus und darf in einem Atemzug mit der NYT genannt werden) unterminiere Geschäftsmodelle die auf Subskription – sprich die Bezahlung von Inhalten ausgelegt sei.

Es macht sicher wenig Sinn, das lamentieren der Medienhäuser oder die klassische Schelte derer Innovationsscheu zu wiederholen. Beides dürfte weitgehend bekannt sein. Mich irritiert eher, die Kurzsichtigkeit mit der argumentiert wird.

Nachrichten werden bezahlt. Das war immer schon so und wird immer so bleiben. Aber eben nur Nachrichten und  nicht alles was als Nachricht verpackt daher kommt und der dritte Aufguss einer Nachricht ist, die niemanden mehr interessiert oder auch nie jemand wirklich interessiert hat. Oder eben nur sehr wenig Bereitschaft generiert dafür zu bezahlen, weil daraus vom Empfänger kein Wert oder Nutzen gezogen werden kann. Der berühmte Sack Reis, der in China umfiel, war in diesem Sinn nie eine Nachricht, weil sie niemand interessierte.

Das Produkt ist das Problem

Wir leben in einer Welt des „Nachrichtenüberflusses“. Es gibt eine Art von Grundversorgung mit Nachrichten, die uns schon sehr umfassend informiert. Gefühlt ist dies kostenlos, real durch die Gebühren für die öffentlich-rechtlichen Medien und durch private Medien über Werbung finanziert.

In dieser nachrichtengesättigten Welt Nachrichten zu verkaufen, ist eine Meisterleistung. Hochleistungssport würde man auf sportlicher Ebene sagen. Hochleistungsjournalismus wäre das Äquivalent auf Medienebene. Hochleistung, die sich weniger auf die Höhe der Buchstaben von Schlagzeilen bezieht, als auf den Nutzen den dieser Inhalt für den Empfänger generiert. Kein echter Nutzen – kein Geld.

Wo es lange keine Alternativen gab, konnte manches als Nachricht verkauft werden, wenn es nur reisserisch genug verkauft wurde. Da ist Geschichte. Die Menschen haben dazugelernt und es mangelt nicht an Alternativen. Wer wird für die Flüssigkeit, die mit Hilfe des neunten Aufgusses eines älteren Teebeutels produziert wird, den Preis eines guten Darjeeling first flush bezahlen, wenn er nebenan sowohl Spülwasser dieser Qualität kostenlos oder feinsten Tee zu einem angemessenen Preis erhält?

  • Eine gute Nachricht (news) ist unique und für den Empfänger erkennbar wertvoll und Nutzen stiftend.
  • Eine schlechte Nachricht (no news) ist bereits bekannt, für den Empfänger irrelevant und nutzlos.

Nachdem jahrelang auch mit weniger guten Nachrichten sehr gutes Geld verdient werden konnte, trauern diejenigen, die das als Normalität (miss-)verstanden haben, verständlicher Weise dieser Zeit nach. Sollten wir dieser Trauergemeinde unser Mitgefühl ausdrücken? Ich denke nicht.

Strategische Inkompetenz sichert selten Zukunft

Probleme kommen nicht selten in Gesellschaft daher. „Zuerst hatten wir kein Glück, dann kam auch noch Pech dazu.“ Dieser alte Fussballerscherz ist erfahrene Realität, die sich nicht nur auf den Rasensport beschränkt.

Die Anzahl der Medienkanäle ist explodiert. Zuerst im Rundfunk, dann auch im Fernsehen und überall sind Nachrichten unverzichtbar und in aller Regel frei zu empfangen. Das war bislang kein Problem, blieb ja in der Medienfamilie. Jetzt gibt es das Internet und das gehört nicht zur Medienfamilie, weil die Medien diese Entwicklung verschlafen haben. Und deswegen ist das natürlich beklagenswert.

Nun kommt zum fehlenden Glück – in Form eigener Inkompetenz – auch noch das Pech dazu, das sich die Menschen etwas anders informieren. Social Media hat hier an Bedeutung gewonnen – nicht weil es ein weiterer Informationskanal ist, mit dem wir berieselt /  zugeschüttet werden, sondern weil es ein Filter gegen diese Berieslung ist, mit dem wir uns vor allem die „Nachrichten“ vom Hals halten wollen, die uns nicht interessieren. Was mich interessiert, kommt durch Social Media hindurch bei mir an. So zumindest die aktuelle Theorie.

Mediale Lemminge

Die Produzenten gefühlten Qualitätsjournalismus vertrauten zuerst darauf, das ihre Kunden / Leser das eigene Produkt so schätzten, das sie weiterhin treu kauften, was ihnen vorgesetzt wurde. Und wurden bitter enttäuscht. Der heilige Gral grosser Medienmarken entpuppte sich als wenig belastbarer Popanz aus Pappmaché. Der Kunde blieb aus, also rennen wir ihm hinterher, dorthin wo er sich in eine selbstgewählte Nachrichtendiaspora zurück gezogen hat. Wir sind als Medienunternehmen auch in Social Media dabei und belagern den flüchtigen Kunden dort mit den Produkten, denen er ausweichen will.

Spielverderber

Die charmanten Wegelagerer / Gatekeeper, die sich frech mit ihrem Produkt zwischen Medienunternehmen und Kunde / Leser gesetzt haben, ohne dafür den Medienunternehmen etwas zu bezahlen, sind auch noch so dreist, den Informationsfluss in ihren neuen digitalen Königreichen zu regulieren.

Die einen sagen, um dem Untertanen / Kunden den ganzen nervenden Spam in Form irrelevanter Inhalte (no news) zu ersparen um sie als Kunde zu erhalten, die anderen sagen, um das eigene Geschäftsmodell Werbung effektiver zu unterstützen. Ich fürchte beides trifft zu.

Die Ironie in der Geschichte

Die Gatekeeper werden sich ihre Rolle / Macht über kurz oder lang auch von den Medienunternehmen bezahlen lassen. Dann stehen die Lemminge unter den Medienunternehmen vor der Alternative für die Verbreitung ihrer kostenlosen Inhalte in der einen oder anderen Form zu bezahlen oder die Reichweite innerhalb der Gatekeeper zu verlieren. Da sie zuvor hart daran gearbeitet haben, diesen Kanal als Informationsquelle relevant zu machen, haben sie ihre Optionen selbst reduziert und sich abhängig und auch austauschbar gemacht.

Der faustische Pakt und die Ironie dahinter

Das Problem der Medienunternehmen ist nicht nur auf Medienunternehmen begrenzt. Viele Markenunternehmen sehen sich beispielsweise in einer ähnlichen Situation. Sie wollen Menschen erreichen und vom Wert der Marke überzeugen, an Unternehmen und Marke binden, Interessenten gewinnen. Dabei wird Social Media immer unverzichtbarer.

Tom Goodwin versteht die „Zusammenarbeit“ von NYT und Facebook als faustischen Pakt, zum Nachteil der NYT. Damit dürfte er nicht ganz falsch liegen. Goodwin ist, wie erwähnt bei Havas Media für Strategie und Innovation zuständig. Havas Media ist eine digitale Medienagentur und bietet seinen Unternehmenskunden Inhalt für digitale Medien nicht zuletzt auch für Social Media Kanäle wie Facebook.

Der Aufbau von Reichweite in Facebook mittels Inhalten hat viele Unternehmen in den Besitz einer Reichweite in Facebook gebracht, die für diese Unternehmen aus eigener Kraft nur noch in geringem Umfang nutzbar ist. Es sei denn diese Unternehmen bezahlen Facebook dafür, das ihre Inhalte in Social Media auch die aufgebaute Reichweite erreichen. Der faustische Pakt ist eben nicht nur auf die NYT begrenzt.

Digitale Agenturen die ihren Kunden dazu raten in Facebook präsent zu sein und dazu Content liefern, fädeln diesen faustischen Pakt tagtäglich ein. Sollte man dies wie im Beispiel der NYT durch Goodwin / Havas kritisieren, sollte man Facebook zumindest seinen eigenen Kunden explizit nicht empfehlen. Von Goethe ist übrigens auch der Zauberlehrling. Das ist eine Nummer kleiner als der Faust, passt aber gelegentlich auch ganz gut. Manchmal sogar besser.