Bundestagswahl 2013 und Social Media

Frühestens am 28. August 2013 und spätestens am 27. Oktober 2013 ist nach Angabe des Bundeswahlleiters die nächste Bundestagswahl, sofern der Bundestag nicht vorher aufgelöst wird. Diese Bundestagswahl hat mit Weihnachten gemeinsam das auch dieses Ereignis für manchen politisch Verantwortlichen zumindest was Social Media angeht recht plötzlich und überraschend kommt – eben wie Weihnachten. Von der Bescherung wollen wir hier erst mal nicht reden. Bei Weihnachten können wir uns vor dem herannahenden Fest auch kurzfristig mit Geschenken auszurüsten. Um Social Media für einen Wahlkampf erfolgreich zu nutzen, bedarf es eines zeitlichen Vorlaufs von einem Jahr oder mehr.

Social Media und Wahlkampf

Social Media kann in diesem Wahlkampf eine wichtigere Rolle als in der Vergangenheit übernehmen. Dafür sprechen die vielzitierten Erfolge von Obama genauso wie die Irritation der Parteien im Bundestag durch die Piratenpartei, die – Stand heute – immer noch vor einem Einzug in den nächsten Bundestag steht.

Betrachtet man die relativ erfolgreiche Nutzung von Social Media im letzten US Präsidentschaftswahlkampf und bedenkt welche Möglichkeiten und Potenziale Social Media für das Thema Wahlen insgesamt bietet, wird eine Fehleinschätzung besonders deutlich:

Die Wirkung von Social Media innerhalb des US Wahlkampfs ist nicht einfach auf deutsche Verhältnisse zu übertragen: wo in den USA das Charisma des Kandidaten wirken konnte, muss dies in Deutschland Infrastruktur und Organisation ausgleichen. Der deutsche Wahlkampf kann auch deshalb deutlich stärker von der Infrastruktur Social Media profitieren als ein Wahlkampf in den USA.

Damit das so sein kann, muss eine Partei über die entsprechende Social Media Infrastruktur verfügen. Deren Aufbau erfordert neben der nötigen fachlichen Kompetenz auch einiges an Zeit. Zeit, die allen Parteien gerade zwischen den Fingern zerrinnt, wenn man die Social Media Aktivitäten von

betrachtet. Überspringen wir den desaströsen Vergleich von sozialer Reichweite und Parteimitglieder und auch die Art der Kommunikation in den sozialen Medien.

Wer in einer Partei heute noch soziale Medien als Ergänzung des Presseverteilers nutzt und meint mit einer Facebook Page und einigen Teilen-Buttons in Social Media erfolgreich sein zu können ist Teil des Problems und nicht der Lösung.

Auch wenn einzelne Parteien Parteiexternen (Beispiel Gründe – Meine Kampagne – ) die Teilnahme an Aktionen erleichtern ist die Diskrepanz zu einer echten Volunteerstrategie und dem entsprechenden Volunteermanagement beachtlich. Zeitgemäße Volunteerstrategien sehen nicht nur anders aus, vor allem erschließen und aktivieren sie potenzielle Unterstützer, deren Kreativität und nicht zuletzt deren Umfeld und Freundeskreise.

Der Einsatz von Kampagnen und kurzfristig aufgefahrenen Aktivitäten sind in Social Media kein wirkliches Erfolgsrezept. Damit Social Media spürbar zu einem (Wahl-)Erfolg beitragen kann, müssen einige Komponenten gesichert funktionieren, die kurzfristig nicht mehr auf die Beine gestellt werden können.

Social Media Infrastruktur

Social Media funktioniert nicht im luftleeren Raum. Der erfolgreiche Einsatz von Social Media basiert auf einer durchdachte Social Media Strategie, die eine ausreichende Reichweite, Qualität und Aktivität sichert und der Social Media Architektur, die dafür die richtigen Tools in der richtigen Plattform bereitstellt. Natürlich kann man auch einfach nur Pages einrichten, bloggen, twittern und posten. Politische Parteien sind auf den Wahlkampf auf der Straße, in Bürgerzentren und auf Plätzen über Jahrzehnte vertraut und auf etwas Aufmerksamkeit in den

Twittern und posten ist keine Social Media Strategie

Für alle die netten Menschen, die gelernt oder gehört haben, das Social Media aus twittern und posten besteht, sei hier gesagt, das diese beiden Aktivitäten auch zu Social Media gehören, aber nicht Social Media ausmachen. Das ist so passend wie den Zeitungsverkäufer mit dem Medienhaus gleichzusetzen, dessen Produkte er verkauft. Um Social Media erfolgreich nutzen zu können, benötigt eine politische Partei eine Social Media Strategie, die

  • die erforderliche Reichweite bei den Social Media Usern sichert
  • die Aktivität dieser Reichweite und die Reichweite insgesamt sichert,
  • den Freundeskreis der User dieser Reichweite zu erreichen ermöglicht
  • die User, die man in Social Media erreicht (soziale Reichweite) aktiviert und motiviert.

Die Social Media Architektur – Abbild der Social Media Strategie

Wo in der klassischen Architektur die Social Media in Form des Bauplans und der Bauplanung vorliegt, ist die Social Media Architektur die Kombination der eingesetzten und aufeinander abgestimmt genutzten Social Media Tools, die genutzt werden um die Social Media Ziele zu erreichen.

Wer erkannt hat, das eine Social Media Strategie, die diesen Namen auch verdient einen Wahlsieg zumindest ermöglichen oder nachhaltig unterstützen kann, wird ihr deutlich mehr Aufmerksamkeit widmen, als es bei den Parteien derzeit erkennbar ist. Unerfreulicher Weise nützt es nichts mehr, ein halbes Jahr vor der Wahl eine Social Media Strategie entwickeln zu wollen, wenn die dafür nötige Infrastruktur – die Social Media Architektur – nicht bereits in ausreichendem Maß vorhanden ist.

Was benötigt eine politische Partei damit Social Media nachhaltig und wesentlich zu einem Wahlerfolg beitragen kann?

Ein Blick auf einige zentrale Elemente der Social Media Architektur beantwortet diese Frage.

Plattformstrategie für politische Parteien

Würde man einen Politiker Stand heute zu den Plattformen befragen, die eine Partei für Social Media nutzen sollte, bekäme man bei den etwas informierteren Damen und Herrn mit hoher Wahrscheinlichkeit Facebook und Twitter genannt. Das ist nicht ganz falsch. Über diese beiden Plattformen werden derzeit Informationen verbreitet. Mehr aber auch nicht. Um Social Media wirklich nachhaltig erfolgreich nutzen zu können, sollten diese Plattformen genutzt werden, um soziale Reichweite aufzubauen und Kommunikation anzustoßen.

Was in diesen Plattformen (Facebook und Twitter) nicht oder nicht ausreichend funktioniert, aber für den Erfolg letztlich mit entscheidend ist:

Community Management für politische Parteien

Die Aktivierung und Motivation von Interessenten und Unterstützen, deren Vernetzung und die Sicherung dieser Kontakte und der sozialen Reichweite insgesamt ist in den wichtigsten externen sozialen Medien der politischen Parteien nicht oder nicht ausreichend möglich. Dazu fehlen dort einfach die erforderlichen Tools, nicht zuletzt, weil dies nicht im Interesse der Plattformbetreiber ist. Zudem lassen die Pages einzelner Parteien vermuten, das das Thema Community Management dort insgesamt noch gar nicht angekommen ist.

Plattformstrategie

Wer soziale Medien nur als die schlichte Nutzung von Plattformen wie Facebook und Twitter versteht, verfehlt die Chancen die Social Media bietet. Dieses Verhalten macht nicht nur von externen Plattformen abhängig, man verzichtet auch auf den Aufbau einer Infrastruktur, die Social Media Erfolge ermöglicht. Das ist so verantwortlich wie auf eine Datensicherung bei den eigenen Parteidaten zu verzichten.

Kommunikationsstrategie für politische Parteien

Ein Blick auf die Kommunikationsstrategie der politischen Parteien zeigt, wie sehr man soziale Medien vor allem als Ergänzung der klassischen Medien missversteht. Less Media, more social wäre hier sehr angebracht. Wer Social Media erfolgreich nutzen will, muss seine Kommunikationsstrategie und die Kommunikation, die daraus resultiert, so aufbauen das die Empfänger eingebunden und für die Weitergabe aktiviert werden. Das ist kommunikativ anspruchsvoller als Social Media platt als zusätzlichen Verteiler für Information zu nutzen, aber es ist eine unverzichtbare Voraussetzung für den Erfolg in und mit Social Media.

Volunteer Management für politische Parteien

Wer will das sich Menschen engagieren muss ihnen sinnvolle Beteiligungsmöglichkeiten bieten. Das sollte das über die Möglichkeit hinaus gehen, Mailformulare abschicken zu können. Volunteerstrategien und Volunteermanagement sind extrem erfolgreiche Methoden um Menschen dazu veranlassen sich – auch ohne Parteimitgliedschaft – für ein Thema einzusetzen und den eigenen Freundeskreis dafür zu aktivieren oder davon zu überzeugen. Vergleichen wir die Wirkung in den Vereinigten Staaten – wo sie Wahlkämpfe entscheiden – mit dem was wir hierzulande nicht tun, stehen wir vor einer kaum begründbaren Diskrepanz. Nur ein grundlegendes Misstrauen den eigenen Wählern und Unterstützern gegenüber könnte dieses Verhalten erklären.

Fazit

Es ist für einen erfolgreichen Einsatz von Social Media für die nächste Bundestagswahl fünf vor zwölf. Der Aufbau einer Erfolg ermöglichenden Social Media Infrastruktur und eines leistungsfähigen Community Managements, inklusive Volunteer Management – mit allen erforderlichen Tools – kostet Zeit und Vorlauf und braucht nach seiner Etablierung auch Zeit um Wirkung zu zeigen. Ein Jahr Vorlauf ist ausgesprochen sportlich, selbst wenn die Organisation, die Social Media nutzen will, über die nötige fachliche Kompetenz verfügen würde. Nach Lage der Dinge sind es einzig die Piraten, die wirklich von Social Media profitieren werden. Aber auch bei ihnen ist das Optimierungspotenzial immer noch sensationell hoch.

Piraten, Politik und Social Media Рwarum die Piratenpartei noch erfolgreicher sein k̦nnte

Warum die Piratenpartei erfolgreich ist

Die Piratenpartei glänzt neben den überraschenden klaren Erfolgen in zwei Landtagswahlkämpfen vor allem durch diese „Phänomene“:

  • Erfolg trotz Fehlens eines Parteiprogramms und organisatorischen Startproblemen.
  • Reaktivierung von Nichtwählern als Piratenwähler.
  • Minimaler Wahlkampf offline und hohe Zustimmung online
  • Hohe Akzeptanz nicht nur bei den jungen Internetnutzern
Es hat den Eindruck, das es genügt, das die Piraten existieren und schon springen sie flink über die 5% Hürde. Natürlich ist dieser Eindruck falsch. Es gibt genügend andere Parteien, die anders sein wollen als die etablierten, ohne das diese Parteien über diese Hürde kommen. Die Piratenpartei hat allerdings zwei Pluspunkte gegenüber den „sonstigen Parteien“. Sie hat mit einem Thema den Nerv einer Zielgruppe getroffen und nutzt Umfeld, in dem sich die Menschen selbst organisieren und vernetzt kommunizieren. Das ermöglicht schnell den Aufbau von Reichweite und nutzt ein automatisiertes Empfehlungsmarketing, das es in dieser Wirkung eben nur im sozialen Netz gibt. Dabei nutzen die Piraten das Potenzial des sozialen Netzes noch lange nicht umfassend. Sie sind nur etwas besser als die etablierten Parteien (und wirken frischer).

Politische Parteien und ihre Reichweite in Facebook

Die Reichweite an Fans in Facebook ist natürlich nur ein Punkt, der die Nutzung des sozialen Netzes beschreibt, aber er erscheint mir symptomatisch. Hier die Fanzahlen der offiziellen (zentralen) Pages der jeweiligen Parteien:
  • Piratenpartei: 46,5 Tsd. Fans
  • CDU 18 Tsd. Fans
  • SPD 26 Tsd. Fans
  • FDP 16 Tsd. Fans
Die Bedeutung der Fans einer Fanpages liegt in ihrer Aktivität und in der Möglichkeit sie für das Empfehlungsmarketing zu nutzen. Für letzteres ist der Grad der Vernetzung der eigenen Fans (in der relevanten Zielgruppe / den relevanten Zielgruppen) entscheidend. Fans die in den Zielgruppen weniger stark vernetzt sind, helfen nicht dabei diese Zielgruppen zu erreichen. Fans, die in den Zielgruppen sehr stark vernetzt und aktiv sind, bilden einen kommunikativen Wettbewerbsvorteil, der mit anderen Methoden kaum auszugleichen ist.
Ein FDP Fan, der vor allem mit anderen FDP Fans vernetzt ist, wird keine Nichtwähler erreichen und auch keine Wähler aus anderen Spektren. Ein Fan der Piratenpartei, der breit vernetzt ist, trägt deutlich mehr zu einer positiven Wahrnehmung dieser Partei und zu ihrem Erfolg in seinem Umfeld bei.

Piratenpartei – Symptom einer interessanten Entwicklungsrichtung

Das eigentlich interessante an der Piratenpartei ist nicht ihr Programm, das sich erst noch herauskristallisiert. Es ist – aus meiner Sicht – das man Politik etwas offener versucht, den Menschen etwas mehr an Mitwirkungsmöglichkeiten zu geben und nicht mit einer vorgefertigten ideologischen Sicht seine Vorstellungen umzusetzen versucht und dafür Mehrheiten zu bilden versucht. Letzteres kennen die Wähler zur Genüge und haben zunehmend Vertrauen in diese Form der Politik verloren, wie die Wahlbeteiligungen zeigen. Wir haben bekanntlich keine Krise der Politik oder der Demokratie, sondern eine Krise der etablierten Parteien.
Der Erfolg der Piratenpartei wäre ohne das Internet und das Eintreten der Piraten für die Freiheit im Netz sicher nicht möglich gewesen. Betrachten wir diesen Erfolg nicht als etwas einzigartiges erstaunliches sondern als Symptom und wir erkennen dahinter das Potenzial einer Entwicklung das die Politik weitaus mehr verändern kann, als es das Auftreten der Piraten auch nach einem Einzug in den Bundestag mit einem Wahlergebnis  in einer Höhe von 8 bis 15% wird.

Der Netzbürger macht Politik

Nachdem Wutbürger muss sich die Politik auf eine neue Erscheinung einstellen – den Netzbürger. Der Netzbürger  ist politisch interessiert und informiert. Es fehlen ihm nicht die Informationsmöglichkeiten, die Kommunikationsmöglichkeiten oder die Organisationsmöglichkeiten der „Vor-Internet-Ära“ die den Bürger damals vor die Alternative stellten seine politische Partizipation alle 4 Jahre durch das Kreuzchen seiner Wahl abzuarbeiten oder sich auf einen zeitraubenden, langwierigen Weg durch Parteiinstanzen zu quälen.
Der Netzbürger weiss, das es anders gehen kann, er will das Politik anderes funktioniert und vor allem er bekommt zunehmend das Wissen, wie man dies realisiert. Die dafür nötigen Instrumente stehen ihm bereits zur Verfügung. Jetzt probiert er sie einfach mal aus. Zum Beispiel mit einer neuen Partei, die einen amüsanten Namen trägt.

Was ist da passiert?

Das Vertrauen in die Leistungskraft der etablierten politischen Parteien ist geschrumpft und der technische Fortschritt in Form des Internets hat eine Infrastruktur bereitgestellt, die Alternativen zur etablierten Parteienlandschaft ermöglicht.
Der Netzbürger erkennt zunehmend die Möglichkeiten von Social Media als Gestaltungselement und die damit verbundenen Möglichkeiten dadurch Einfluss zu nehmen. In unserer Demokratie ist diese Einflussnahme nur in Parteireform möglich. Auch deshalb findet hat eine Partei mit einer unvoreingenommenen Offenheit für neue Formen der Partizipation jenseits alter Prozesse und festgelegter Positionen schnell Anhänger.

Parteien – ein Konstrukt und seine Entwicklung

Bislang verstehen wir eine Partei als einen Zusammenschluss von Menschen mit gleichen Ansichten und dem Wunsch, diese politisch umzusetzen. Das hat konstruktionsbedingte Konsequenzen:
  • Jeder, der diese Ansicht nicht teilt, gehört nicht in diese Partei.
  • Damit die Partei etwas bewirken kann, braucht sie Mehrheiten.
  • Mehrheiten finden sich nur durch Kompromisse.
Der Erfolg der früheren Volksparteien lag mit darin, das sie es vermochten, verschiedenste Richtungen und Flügel zusammen zu halten. Die heutigen Volksparteien haben diese Klebekraft zunehmend verloren. Die SPD verlor die Linke und im linksbürgerlichen Lager entstanden die Grünen. Die CDU hatte bislang das Glück das sich die Freien Wähler nicht bundes- oder landespolitisch engagierten.
Betrachten wir das Modell klares geschärftes Parteiprofil aus dem Blickwinkel der Erfahrungen, die uns Social Media gelehrt hat und dem Erfolg der Piratenpartei, erhalten wir vom Wähler die Bestätigung, das es auch möglich ist, mit dem Gegenteil des klaren Profils einer Partei aus dem Stand erfolgreich zu sein. Nennen wir dieses Gegenstück der Einfachheit halber das offene Bürgerforum und betrachten, welche Chancen und Vorteile diese Form im Wettbewerb mit den etablierten Parteien für sich nutzen könnte.

Social Network neben Vereinen

Auch wenn es keinen Grund gibt, sich um aktive Vereine in Deutschland Sorgen zu machen, ist der schnelle Aufstieg der Social Networks ein Phänomen, das der Politik Gedanken machen sollte. Die Vernetzung und das gemeinsame verfolgen von Interessen findet jetzt in den Social Network Plattformen und ihren Communitys eine neue Alternative zur traditionellen Vereinsform. Man braucht  heute für bestimmte Formen der gemeinsamen Aktivität keinen Vereinsrahmen mehr. Diese Alternative ist von den Menschen schnell und nachhaltig aufgenommen worden.
Parteien als politische Vereine sollten sich darüber Gedanken machen, wie sich diese Entwicklung auf ihrem Feld auswirken kann. Die Antwort darauf sollte sich nicht in Twitteraccounts und Facebook Pages erschöpfen, will man nicht die Verpackung mit dem Inhalt verwechseln. Politische Konstrukte mit der Möglichkeit der offenen Partizipation (wie sie auch die Piraten heute noch nicht bieten) sind ansonsten die nächsten, deutlicheren Überraschungen für die etablierte Parteien. Die Folgen daraus, können auch für Volksparteien annähernd  so bitter sein wie das Ergebnis im Saarland für die FDP.

Die Piratenpartei und ihre Erfolgsbremse

Der Erfolg der Piratenpartei wird durch die eigene „parteinahe“ Vorgehensweise dieser Partei reduziert. Betrachtet man den Reiz der Piratenpartei als „nicht vorgefertigte“ und daher offene Politikplattform insbesondere für Nichtwähler und wirft einen Blick auf das Kernstück der Piratenpartei – die Diskussionsplattform Liquid Feedback fallen einige deutlich erfolgsreduzierende Punkte auf:
  • die Diskussion und Entscheidungsfindung findet im geschlossenen Rahmen und nur für Mitglieder zugänglich statt.
  • die Qualität der Plattform Liquid Feedback und die Entscheidungsfindung hat reichlich Entwicklungspotenzial auf dem Weg zu einer wirklichen Attraktivität für breite Kreise.
Eine Öffnung des Parteiansatzes in Richtung eines offenen Bürgerforums würde die Piraten für mehr Nichtwähler wie für weitere Kreise interessant machen. Diese Öffnung würde zugleich den Status als Partei im ausschließenden Sinn reduzieren. Damit sind de Wachstum der Piraten deutlich weniger Grenzen gesetzt und die Entwicklung zu einer Volkspartei wäre in relativ kurzem Zeitraum absolviert: Bei kluger Nutzung der Erfahrungen mit Social Media kommt einem offenen Forum der Vorteil des Netzwerkeffekts zu Hilfe. D. h. diese Partei wächst exponentiell zu Lasten von Parteien, die diesen Vorteil nicht mehr nutze können.
Ob die Piratenpartei diesen Ansatz verfolgen wird, steht auf einem anderen Blatt. Dafür das vergleichbare Ansätze Politik auf lokaler Ebene seit Jahren erfolgreich gestalten können, stehen die Freien Wähler. Das dies auf Bundesebene möglich ist und wahrscheinlicher wird, hat durch den Erfolg der Piraten eine weitere Bestätigung erhalten.

Piraten ahoi – Social Media in der Politik in Sicht

Der Erfolg der Piratenpartei ist ein erster Anfang.

Der Erfolg der Piratenpartei bei den Wahlen in Berlin hat nicht zuletzt aufgrund seiner Höhe überrascht. 8,9% der Wähler oder 129.795 Stimmen entfielen nach dem vorläufigen Ergebnis auf die neue Partei. Dieser Erfolg ist für die politische Landschaft interessanter und relevanter als der Absturz der FDP.  Der Erfolg der Piraten ist eben kein Ergebnis einer Proteststimmung oder der kurze Erfolg einer Protestpartei. Er ist auch kein Phänomen, das auf Großstädte begrenzt ist oder bleibt und er lässt sich mit den klassischen Denkmustern der etablierten Parteien eben nicht völlig verstehen.

Die Wurzeln des Erfolgs der Piraten – Partizipation statt Protest

Die Piraten steigen deutlich höher ein als die GRÃœNEN zu Beginn ihrer politischen Laufbahn. Die Reaktionen der etablierten Parteien – inklusive der GRÃœNEN – zeigen, das sie das eigentliche Thema hinter diesem Erfolg nicht gänzlich verstanden haben. Man reklamiert wie die GRÃœNEN das die Piraten eigentlich Fleisch vom eigenen Fleisch sind und vergisst, das dies auch auf die Situation vor 30 Jahren – als man die GRÃœNEN als Fleisch der SPD missverstanden hat – nicht zutraf. Das dieser Fehler von den GRÃœNEN wiederholt wird, ist amüsant. Zeigt er doch, wie gut man sich im Parteidenken etabliert hat.

Die WELT ONLINE vergisst bei der interessanten Beschreibung der medialen Klientel der Piraten das ein wesentlicher Teil der Piraten Wähler aus dem Reservoir der Nichtwähler – also der größten Wählergruppe – stammt. Die Berliner Morgenpost bringt diesen wertvollen Beitrag für die Wahlbeteiligung – und damit nicht zuletzt für die Demokratie – deutlicher zur Geltung. Die Piraten leisteten in ihrem ersten Wahlkampf einen Beitrag für die demokratische Beteiligung, den die etablierten Parteien nicht mehr zu leisten in der Lage waren. Gibt man die Suchbegriffe „Piraten“ und „Nichtwähler“ in Google ein, stellt man fest, das sich die Piraten aktiv wie kreativ um diese größte Gruppe unter den Wahlberechtigten bemüht haben.

Piraten – Politik für alle?

Die Piraten sind angetreten mit dem Anspruch die Mitwirkung im politischen Prozess transparenter und einfacher zu machen. Dieser Ansatz ist strukturell ein anderer, weil er nicht zuletzt die politische Mitwirkung aus der Begrenzung auf die Stimmabgabe und der Voraussetzung der Mitgliedschaft in einer politischen Partei löst.

Damit gehen die Parteien nicht nur einen großen Schritt in Richtung einer „direkteren“ Demokratie. Sie ermöglichen erstmals eine einfachere Form politischer Teilhabe, die zeitgemäßer anmutet, als die herkömmliche, für unsere Demokratie vor allem bekömmlicher erscheint, als die etablierte. Zugespitzt, oder auch überspitzt formuliert, erbeuteten die etablierten Parteien den Anspruch auf ein Monopol in der politischen Gestaltung. Der Bürger hat die Wahl sich entweder fest innerhalb einer Partei zu engagieren oder seine demokratische Mitwirkung auf die Stimmabgabe zu begrenzen. Das ist ein Form von Monopol, das so im Grundgesetz sicher nicht gedacht war. Dort steht in Art. 21 Absatz 1 zur Rolle der Parteien bei der politischen Willensbildung unserer Nation lediglich der lapidare Satz:

(1) Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. Ihre innere Ordnung muß demokratischen Grundsätzen entsprechen. Sie müssen über die Herkunft und Verwendung ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen öffentlich Rechenschaft geben.

Zwischen Mitwirkung und einer Situation in der die Parteien die Spielregeln der politischen Willensbildung bestimmen, besteht nach meiner persönlichen Meinung ein deutlicher Unterschied. Dieser deutliche Unterschied – und die Attraktivität der Mitwirkungsmöglichkeiten in den etablierten Parteien trägt – auch das ist meine persönliche Meinung – zur Abstinenz vieler politisch Interessierter bei. Betrachtet man die Motivation der Nichtwähler erkennt man wie wertvoll und nötig ein strukturell anderer Ansatz für die politische Partizipation für unsere Demokratie ist. Eine Studie von dimap aus 2009 beschreibt die Situation wie folgt:

Nichtwähler haben sich nicht grundlegend von der Demokratie in Deutschland abgewendet. Sie zeigen durchaus Interesse an politischen Diskussionen und sind offen für Argumente. Was jedoch vorherrscht, ist eine ausgeprägte Verdrossenheit mit den zur Auswahl stehenden Parteien und Politikern.

Überspitzt formuliert ist die Methode der politischen Willensbildung eine der Quellen der Politikverdrossenheit, sind also die etablierten Parteien eher Teil des Problems als Teil der Lösung.

Egal ob die Piratenparteien langfristig Bedeutung haben werden, zeigt ihr Wahlergebnis, das ein deutlicher Wunsch nach Veränderung in Richtung einfacherer Partizipation und transparenten Prozessen besteht. von Prozessen besteht. Jede Verbesserung in diese Richtung wird auf positive Resonanz stoßen und aufgrund der knappen Mehrheiten unsere politischen Landschaft verändern.

Die Piraten sind kein regional begrenztes Phänomen

Die Piraten sind kein Berliner Phänomen. Berlin ist ein Anfang. Das Bedürfnis nach Veränderung ist bundesweit. Im Vergleich mit dem Erfolg der GRÜNEN zeigt sich der strukturelle Unterschied zwischen Piraten und GRÜNEN.

Der Erfolg der GRÃœNEN fiel in ihren Anfängen deutlich geringer aus. Der Unterschied zwischen etablierten Parteien und GRÃœNEN war auch deutlicher spürbar – nicht nur optisch.  Die GRÃœNEN traten mit klaren, kontroversen Themen an und stritten um und in Prozessen um ihre interne Meinungsbildung und Mehrheitsfindung.

Die Piraten treten auch mit Themen an, aber vor allem unterschieden sie sich von den GRÃœNEN durch einen Ansatz mit Prozessen, die einfachere politische Mitwirkung und Mitgestaltung und transparente Prozesse zum Ziel haben. Die GRÃœNEN waren von Anfang an Partei, was die Mitwirkung betrifft. Sie haben die Methode der etablierten Parteien – Du kannst nur als Mitglied mitgestalten – mit übernommen. Nur die Prozesse der internen Meinungsbildung waren öffentlicher – und gelegentlich chaotischer und mühsamer.

Warum die Piraten deutlich schneller wachsen können als andere Parteien

Der veränderte Ansatz der Partizipation mag für die Politik ein grundsätzlich neuer sein. Es gibt strukturelle Gründe, die das enorme Wachstumspotenzial und die Dynamik dieses Ansatzes deutlich machen und es Wert sind bedacht zu werden. Social Media bietet hier eine interessante Analogie.

Plattformstrategie und Communitystrategie

Die Communitystrategie sucht ihre Mitglieder anhand einer definierten Gemeinsamkeit und grenzt alle anderen potenziellen Mitglieder (ohne diese Gemeinsamkeit) aus. Die Plattformstrategie sucht ihre Mitglieder nur nach dem Nutzungswunsch und grenzt keine potenziellen Mitglieder nach weiteren Kriterien aus. Social Networks agierten alle in ihrer Startphase nach der Plattformstrategie. Ansonsten wäre das dynamische Wachstum, das sie aufwiesen und aufweisen, nicht realisierbar.

Analogie der Social Network Strategien und Politik

Öffnen die Piraten ihre Partei allen politisch Interessierten zur Mitwirkung und Meinungsbildung ermöglicht dies der Partei ein schnelleres Wachstum. Sie werden damit nicht nur für die größte Gruppe unter den Wahlberechtigten – die Nichtwähler – sondern auch für die Wähler anderer Parteien interessant, die jetzt eine Möglichkeit sehen, sich aktiver einzubringen ohne sich dabei auf den langen Weg durch die Gremien der etablierten Parteien zu begeben um ein Thema voran zu bringen.

Die Plattformstrategie verspricht erfahrungsgemäß dann besonders viel Erfolg, wenn  freies Potenzial vorhanden ist. In der politischen Ebene ist dies in Form der Nichtwähler wie in Form der nicht aktiv engagierten Wähler anderer Parteien der Fall,  sofern letztere die Möglichkeit finden über den Weg in einer offenen (Plattform) Partei ihren Themen schneller Gehör verschaffen zu können.

Eine nicht ganz so dichte Analogie wäre der Vergleich der Freien Wähler auf Kommunaler Ebene und der CDU in Baden Württemberg. Jahrzehntelang dominierte die CDU den Landtag in Baden-Württemberg, war aber in vielen Kommunen in Baden-Württemberg immer nur die zweitstärkste Kraft.

Social Media Kompetenz und Effizienz

Den Piraten geht es um Offenheit und Transparenz. Ihre Kernklientel kommt aus den Gruppen der Bevölkerung, die Social Media und Social Networks als nahezu selbstverständlich nutzen – den sogenannten digital natives. Damit verfügen die Piraten „naturgemäß“ über eine etwas höhere Kompetenz in Social Media, die es ermöglicht Wähler und Interessierte auf vielfältigere Weise einzubinden und mitwirken zu lassen, als es die etablierten Parteien – inklusive der GRÃœNEN dies derzeit anbieten. Mit diesem unterschiedlichen Ansatz und den Mitteln, die Internet und Social Media als Infrastruktur zur Verfügung stehen, ist es möglich, Poltik für alle zu einer für jeden interessierten erlebbaren Selbstverständlichkeit zu machen. Diesem Ansatz und einem solchen Angebot haben die etablierten Parteien derzeit nichts nennenswertes entgegen zu setzen. Allein die Neugier auf die Möglichkeit anders mit gestalten zu können, wird viele politisch Interessierte – und auch Wähler und Mitglieder anderer Parteien – motivieren, dies einfach einmal auszuprobieren.

Den etablierten Parteien werden – sofern sie nicht schnell und konsequent agieren – zumindest die Wähler unter 40 schnell abhanden kommen. Natürlich birgt eine politische Plattformstrategie auch große Risiken, aber selbst wenn diese Risiken für die Piraten fatale Folgen hätten, wären die etablierten Parteien bis dahin auf ein deutlich geringeres Maß an Wählern und Mitgliedern zurück gefahren.